Foto: © Marie Liebig
Text:Joachim Lange, am 4. Februar 2024
Die deutsche Uraufführung von Peter Eötvös‘ Oper „Valuschka“ war am Theater Regensburg Regie-Chefsache von Sebastian Ritschel. Der Abend nach dem Roman „Melancholie des Widerstands“ gerät zur hochpolitischen Parabel.
Der gerade 80 Jahre gewordene Komponist Peter Eötvös ist Ungar und längst als einer der renommiertesten Gegenwartskomponisten weit über seine Heimat hinaus mit etlichen seiner mittlerweile 13 Opern präsent. Es ist per se ein Opernereignis von Rang, wenn ein Theater, wie jetzt Regensburg, eine Eötvös-Uraufführung in Auftrag gibt und dann realisiert. Als Chefsache mit dem GMD Stefan Veselka im Graben und in der Regie des Intendanten Sebastian Ritschel. Was sich beides beim Rang dieses Komponisten gleichsam von selbst versteht.
Neufassung als deutsche Librettoübersetzung
Wobei es „nur“ die Uraufführung der deutschsprachigen Version ist. Eötvös’ das erste Mal auf ein ungarisches Libretto komponierte Oper wurde bereits im Dezember 2023 in der Staatsoper Budapest uraufgeführt. 70 Prozent der Komposition (so der Dirigent der Regensburger Uraufführung) finden sich auch in der Neufassung auf die deutsche Librettoübersetzung von György Buda. Das ungarische Libretto stammt von Kinga Keszthelyi und Mari Mezei. Es basiert auf dem 1989 erschienen Roman „Melancholie des Widerstands“ von László Krasznahorkai. Der reflektiert auf seine Weise den Epochenumbruch jenes Jahres und inspirierte auch den Film „Die Werckmeisterschen Harmonien“ von Regisseur Béla Tarr im Jahre 2000 (u.a. mit Hanna Schygulla).
In der Oper traumwandelt der naive, aber klarsichtige Titelheld, der Postbote János Valuschka (vokal intensiv: Benedikt Eder), durch eine hochpolitische Parabel, in der eine auf ein metaphorisches Kleinstadt-Maß eingedampfte konzentrierte Welt aus den Fugen gerät. Und in der er am Ende in der Nervenheilanstalt landet. Die ersten Szenen des 95-minütigen Abends illustrieren musikalisch und szenisch vor allem die atmosphärischen Vorboten einer drohenden Katastrophe. Sichtbar wird das zunächst in der Verrohung in aller Öffentlichkeit. Mit einem versuchten dreisten Übergriff des Obermachos und -fieslings auf die bieder ängstliche Mutter des Helden (Theodora Varga, Jonas Atwood ist dieser Mann im Lodenmantel bzw. Soldat).
Über destruktive Männlichkeit
Die Attraktionen eines Wanderzirkus – vor allem der angeblich größte ausgestopfte Wal der Welt und ein sonderbarer Prinz (angeblich mit drei Augen) – sind Projektionsflächen für die diffusen Bedrohungen. Sie wirken wie ein Brandbeschleuniger der eskalierenden Wut und latenten Gewaltbereitschaft der zunehmend enthemmten Massen unter dem Motto: „Nur kaputt sind alle Dinge ganz“.
Hany Abdelzaher, Benedikt Eder & Paul Kmetsch. Foto: Marie Liebig
Der auf 28 Köpfe und damit 56 marschbereit bestiefelte Männerfüße aufgerüstete, von Harish Shankar nicht nur einstudierte, sondern geradezu gedrillte Herrenchor, muss dabei eine Bandbreite von destruktiver Männlichkeit entfalten, die in einem faschistoiden Fackelzug kulminiert. Der zwar zur eindeutig warnenden Ambition der in sich stimmigen Regie von Sebastian Ritschel passt, aber dann doch etwas plakativ wirkt.
Wut der Zerstörung
Diese dunklen Energien der Massen werden bewusst von der neu ins Amt gekommenen Bürgermeisterin Frau Tünde (mit taffer Präsenz: Kirsten Labonte) kanalisiert. Die entpuppt sich schnell als machtbewusste Populistin und etabliert mit Hilfe der Bewegung „Es grünt so grün“ ein autoritäres Regime. Dafür lässt sich, mit Hilfe seines Freundes Valuschka, zunächst auch der mit seriösem Habitus auftretende Roger Krebs als ihr Ehe-Mann einspannen. Auch dessen Autorität als Professor (so der Rollenname) will sie bewusst für ihre Bewegung nutzen. Angestachelt durch vermeintliche (oder tatsächliche) Hass- und Aufputschenden des Prinzen mündet die latente Wut in realer Zerstörung der düster anheimelnden Fassadenprospekte (Bühne: Kristopher Kempf). Die Wut kulminiert in der Machtübernahme schwarzuniformierter (länger nicht auf einer Bühne gesehener) Truppen, die ihrer Anführerin willig folgen.
Diese Parabel aus einem osteuropäischen Irgendwo in einem nicht allzu fernen Irgendwann ist mit seinen illustrierenden naturalistischen Versatzstücken näher am Rumoren der Gegenwart, als die Kostüme von Sebastian Ritschel zunächst vermuten lassen. Hier wäre eine etwas stilisiertere Optik (wie sie der Mitschnitt der Budapester Inszenierung zeigt) möglicherweise ein spannenderes Bündnis mit der Musik eingegangen bzw. hätte das eine noch produktivere Auseinandersetzung mit Eötvös’ Komposition ermöglicht. Für Eötvös selbst ist die Musik seiner neuen Oper ein Übergang zwischen „Prosa-Theater und Oper als Theater“.
Schwacher Trost
Das Philharmonische Orchester Regensburg ist im Graben symmetrisch aufgestellt und mit Trommeln, Cajons, großen Tamtams, Lotusflöte und sogar Plastikflaschen aufgerüstet, bietet zersplitterte Klänge, oft gegen einzeln skandierte Worte, bei Valuschka aber auch mit melodischen Anflügen. Auf große Bögen verzichtet Eötvös zwar, aber nicht auf ein Crescendo der Gewalt, von destruktiver Energie und schriller Groteske (wenn etwa vom Prinzen die Rede ist). Auch nicht auf ein resignatives Verebben, wenn der Titelheld und der Professor am Ende allein und verloren auf einem Bett in der Nervenheilanstalt sitzen und der Professor feststellt: „Wir haben versagt in dem Universum, in dem wir immer weniger zu suchen haben.“
Dass Valuschkas Bemerkung „Einen Schnee wird es nicht mehr geben.“ von der Regie mit leisem Schneerieseln konterkariert wird, ist ein ziemlich schwacher Trost für einen düster irritierenden, verunsichernden Opernabend. Dass der neue Eötvös in Regensburg dafür hochprofessionell umgesetzt wurde, war eine Voraussetzung dafür. Und ein gutes, weiteres Argument für die anstehende Erhebung des Hauses in den Rang eines Staatstheaters.