Foto: Akiho Tsujii (Hilde von Niemeyer), Thomas Kiechle (Rudolf von Niemeyer, Sänger), Jakob Ewert (Mollo Bruck, Sänger), Daniel Pastewski (Prillwitz) und der Chor © Nasser Hashemi
Text:Ulrike Kolter, am 2. Februar 2024
In der Chemnitzer Neufassung von Eduard Künnekes Operette „Der Tenor der Herzogin“ beherrscht ein Frauenstaat die Männer mit dem Ziel, sich Tenöre zur Unterhaltung zu züchten. Regisseurin Anna Weber und Kapellmeister Jacob Brenner sorgen für flott-arrangierten Spaß – und treffen auch hundert Jahre später unsere Lieblingsdebatte: Kind oder Karriere. Oder geht auch beides?
So alltagsfern uns das Wort Matriarchat auch vorkommt: Als Frau (und vermutlich auch als Mann) amüsiert man sich köstlich über das Regime von Herzogin Ernestine, die in ihrem autokratischen Frauenstaat „Tenörchen“ und „Dienstmännchen“ heranzüchtet. Drollig tippelnd und mit rosa Gummileine um den Hals werden die Herren umhergeführt wie Schoßhündchen – und vorbereitet auf das jährliche Wettsingen um den Titel „Tenor der Herzogin“. Der bringt nicht nur Ruhm und weibliche Fans mit sich, sondern auch ein gut bezahltes Festengagement am Hoftheater.
Und so setzt Tenor Rudolf Niemeyer alles daran, beim Vorsingen den ersten Platz zu ergattern. Leider nur ist ihm seine Frau Hilde heimlich nachgereist, auch das gemeinsame Kind platzt per Expressversand in ein System, das Ehe und jede physische Liebe streng verbietet und sinnlichen Genuss nur durch tenoralen Schmelz kennt. So nimmt die Verwechslungskomödie ihren Lauf: Hilde gibt sich als Rudolfs Schwester und Geliebte aus, das Kind wird versteckt – bis natürlich alles auffliegt…
Das antiquierte Original und die fetzige Neufassung
Hört man eine der wenigen Aufnahmen von Eduard Künnekes dreiaktiger Operette „Der Tenor der Herzogin“ (1955 beim NWDR entstanden), klingt das alles reichlich antiquiert: Herzogliche Alleinherrschaft über das Vertragswesen eines Theaters oder die opulente Hotelsuite des Tenors zu Repräsentationszwecken, dazu fast schwülstige Schlagernummern. Im Kern jedoch präsentiert uns das 1930 in Prag uraufgeführte und nach zehnjährigem Siegeszug bald vergessene Werk jene Fragen, die knapp hundert Jahre später unsere Debattenkultur nach wie vor prägen: Gleichberechtigung der Geschlechter, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kind oder Karriere.
Regisseurin Anna Weber hat nicht nur Erfahrung mit, sondern unverkennbar auch ein Faible für zeitgenössische Operette – und ist damit ein Glücksgriff. Mit Jakob Brenner (1. Kapellmeister am Haus) hat sie eine inhaltlich und musikalisch überarbeitete Fassung erstellt, das Finale verändert, Figuren und Dialoge zeitgemäß umgeschrieben (die Soubrette ist ein queerer Bariton, der Tenorbuffo ein Mezzo). Alles fügt sich tänzerisch in Künnekes Kompositionsstil voll eingängiger Melodik und damals populärer Tanzstile wie Foxtrott oder Charleston. Gelegentlich leidet die Textverständlichkeit am Temporausch, in den Jakob Brenner die Robert-Schumann-Philharmonie sehr akzentuiert führt. Doch die nicht zu unterschätzende kompositorische Finesse Künnekes schwappt über ins mitwippende Publikum.
Eine Mundhöhle als Resonanzraum
Kurios wird alles überzeichnet in diesem Hofstaat: Das dümmliche Tippeln und Gestikulieren des Chores (Einstudierung: Stefan Bilz), die blauen Reif-Kleider und Strumpfhosen, angeklebte Riesenohren. Überhaupt wird alles Organische zum Sinnbild sängerischer Resonanzräume: Die Bühne (Stella Lennert) als rosafleischige Mundhöhle, in der herabhängende Prospekte an barocke Kulissen erinnern und eine Zunge herabschwebt. Für sein Tenordomizil muss Rudolf sich mit einem rechten Lungenflügel begnügen; nebenan im linken ist Sänger-Konkurrent Mollo Bruck untergekommen, den Jakob Ewert ganz bezaubernd als Dragqueen im Glanzkleid gibt.
Das durchweg junge Hausensemble wirft sich mit großer Spielfreude ins turbulente Geschehen: Allen voran Thomas Kiechle als charmant-jugendlicher Tenor der Herzogin. Die Nachwehen seiner Erkältung, wegen der die Premiere auf die Folgevorstellung gelegt werden musste, waren allenfalls im 1. Akt noch durch sparsame Zurücknahme zu erahnen. Neben ihm glänzen Akiho Tsujii als seine Frau Hilde, Paula Meisinger (Prinzessin Bernhardine), Elisabeth Dopheide (Hofrat Wegebold). Sylvia Schramm-Heilfort gibt mit rauer Sprechstimme die biedere Herzogin Ernestine; Graf Prillwitz – in Künnekes Fassung der alternde Intendant des Hoftheaters – wird durch das komödiantische Talent von Daniel Pastewski als bellendes Hündchen mit Pudelperücke zum Sympathieträger.
Etienne Walch als Göttin Sybilla. Foto: Nasser Hashemi.
Und weil das finale Sündentribunal, bei dem Sänger Rudolf verurteilt werden soll, alle vor ein Dilemma stellt, liegt die Lösung im barocken Deus ex machina: Sybilla soll richten – und erscheint von der Decke herabschwebend als androgyn-freche Göttin. Etienne Walch, seit dieser Spielzeit als Countertenor im Ensemble, gibt sie in herrlich gelangweiltem Machtgestus. Die langen Fingernägel schwingend, ordnet Sybilla Gleichberechtigung an – und hinterlässt fragende Gesichter. Wie die nun konkret auszuhandeln ist, bleibt uns allen überlassen.