Foto: Szene mit Tilmann Unger (Tristan), Kay Stieferman (Kurwenal), Anne Schuldt (Brangäne) und KS Iordanka Derilova (Isolde) © Claudia Heysel
Text:Joachim Lange, am 28. Januar 2024
Michael Schachermaier (Regie) und Markus L. Frank (GMD) bringen „Tristan und Isolde“ auf die Bühne des Anhaltischen Theaters Dessau: ein musikalisches Ereignis mit einer Firtsclass-Isolde.
Es gibt auch außerhalb Bayreuths und der ganz großen Opernhäuser einige Theater in Deutschland, die eine besondere Affinität zum Werk Richard Wagners haben. In Sachsen-Anhalt ist das Dessau. Hier kommen die Dimensionen des Hauses und die Kompetenz einer kontinuierlichen Aufführungstradition zusammen. Vor zehn Jahren machte der Bauhaus-Ring des damaligen Intendanten André Bücker Furore. Den letzten Tristan hat dessen Vorgänger Johannes Felsenstein vor 18 Jahren inszeniert. Auch da schon mit Iordanka Derilova als Isolde.
Mühelos und durchschlagend
Die Dessauer Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ ist ein musikalisches Ereignis! Mit einer Besetzung, die sich jedem Vergleich getrost stellen kann. Mit einer Anhaltischen Philharmonie, die sich unter ihrem GMD Markus L. Frank in beglückender Weise hörbar auf ureigenem Terrain bewegt.
In Dessau gehört ein hohes vokales Niveau über alle Intendantenwechsel hinweg nicht nur bei Wagner zum Selbstverständnis des Hauses. Derilova hatte schon mit ihrer ersten Isolde Eindruck gemacht. Sie ist seither gereift – ohne sicht- oder hörbares Altern. Sie wirft sich in die Rolle mit einer Mühelosigkeit und durchschlagenden Leuchtkraft, kommt nicht mal in die Nähe einer Begrenzung, legt auch in der Textverständlichkeit zu und ist am Ende beim Liebestod voll da.
Die Primadonna des Hausensembles ist eine Firtsclass-Isolde. Das gilt analog auch für ihren Tristan Tilmann Unger. Es gibt nicht allzu viele Wagnertenöre, die mit klar fokussierter, obendrein wohltimbrierter Stimme diese mörderische Partie bewältigen können. Er schafft es dabei so wortverständlich zu bleiben und dann im dritten Akt, wo es für den sterbenden Helden in den Fieberphantasien nochmal besonders dicke kommt, immer noch so frisch zu wirken, als hätten sie gerade angefangen. Beide passen vokal und übrigens auch optisch so fabelhaft als Liebespaar zusammen, dass sie mit ihrem Charisma auch dann überzeugen, wenn sie von der Regie nur an die Rampe gestellt werden. Natürlich überzeugen auch die Momente körperlicher Nähe (bis hin zum Bodenkullern).
Melancholie aus einer anderen Welt
Daneben liefert Anne Schuldt als Isoldes Vertraute Brangäne mit betörend satt strömendem Mezzo geradezu eine Lehrvorführung in glasklarer Wortverständlichkeit. Kay Stiefermann ist mit origineller Vitalität der Kurwenal an Tristans Seite. Bei Michael Tews wird König Marke zu einer imponierenden Erscheinung, dem man die Erschütterung über den Treuebruch Tristans anhört, ohne seinen Monolog am Ende des zweiten Aufzuges zu einem balsamischen Solo zu verklären. Barış Yavuz als Melot, David Ameln als Hirte und junger Seemann sowie Paweł Tomczak als Steuermann komplettieren das Protagonisten-Ensemble. Sebastian Kennerknecht hat den Chor einstudiert, der seinen Beitrag stets sichtbar und akzentuiert beisteuert.
Ungers und Derilovas gemeinsame Chemie ist nicht zu übersehen. Foto: Claudia Heysel
Musikalisch stimmt hier von Anfang alles. Die Melancholie, die schon im Vorspiel wie aus einer anderen Welt herüber weht. Dann die in Isolde als Wut und Verzweiflung brodelnde Leidenschaft, die in entgrenzten Jubel ausbricht. Die Liebesnacht im zweiten Aufzug mit dem betörenden „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ von Tristan und Isolde und den „Habet Acht“-Rufen der Brangäne, die diese Zweisamkeit, nach dem Motto mitgefangen-mitgehangen, bewacht. Immerhin hatte sie durch den Austausch von Todes- und Liebestrank dafür gesorgt, dass die beiden (jenseits von herrschender Sitte und Moral) zusammenfanden.
Eingerahmte Intimität
Aber Tristan und Isolde haben kein Drogenproblem – es ist das einer unerklärlichen, übermächtigen Liebe, die sie vor der Welt nicht offenbaren und in dieser Welt auch nicht leben können. All das wird in Dessau in eher düsterer Kulisse vor allem zu einem musikalischen Erlebnis, weil Frank dem Orchester vom ersten Ton an Leidenschaft verordnet, die Tristanmusik von innen lodern lässt und dabei durchgängig eine Balance mit den Stimmen findet, wie es nur wenigen Dirigenten mit einem Orchester im offenen Graben gelingt.
Dabei ist es fast schon zweitrangig wie das Ganze bei Michael Schachermaier (Regie), Paul Lerchbaumer (Bühne) und Alexander Djurkov Hotter (Kostüme) aussieht. Sagen wir so: die Inszenierung stört nicht und lässt der Musik den Vortritt. Es gibt eine unverbindlich wuchtige Gerüstarchitektur, die bei geschlossenem Zwischenvorhang Intimität einrahmt und mit einem projizierten Riesen-Vollmond im Hintergrund die Liebesnacht illuminiert. Dazu eine rotausgeschlagene Treppe an der Seite.
Im dritten Akt lässt der Regisseur dann illustrierende Originalität eskalieren: Isolde erscheint (wie in Katharina Wagners Bayreuther Inszenierung) zunächst als vielfaches Traumdouble zu den Fieberfantasien Tristans und dann auch mit den entsprechenden Tristanfiguren an ihrer Seite. Man erkennt nachgestellt das Resümee ihres Lebens. Und vielleicht einen Traum des nichtgelebten gemeinsamen Lebens. Wenn Isolde den Liebestod singt, holt sie damit Tristan zurück ins Leben und sitzt ihm am Ende an einem simplen Küchentisch gegenüber. Zur musikalischen Überwältigung dieses Abends würde es passen, wenn man ihn in jener anderen Welt vermutet, zu der wir keinen Zugang haben. Es sei denn, man setzt sich der Musik von „Tristan und Isolde“ auf einem Niveau aus, wie jetzt in Dessau.