Foto: Die „Soldaten" in der Kölner Philharmonie © Holger Talinski
Text:Andreas Falentin, am 19. Januar 2024
Bernd Alois Zimmermanns vieraktige Oper „Die Soldaten“ im Konzertsaal der Kölner Philharmonie: musikalisch fulminant, szenisch reduziert – aber sehr stückbezogen.
Bernd Alois Zimmermanns Opus Magnum „Die Soldaten“ war lange nicht zu sehen. Die letzten Produktionen waren vor Corona angesiedelt, in Köln (2018), Nürnberg (2017) und Wiesbaden (2016). Die jetzige Kölner Produktion beschreitet einen ganz anderen Weg als diese Inszenierungen. Hier geht es nicht mehr darum, Zimmermanns geniale, ausufernde Musik einen ebenso ausufernden Raum entgegenzusetzen und ihn mit Theatereffekten aufzuladen.
Die Bühne in der Kölner Philharmonie ist klein. Auf der Konzertbühne sitzt das Gürzenich Orchester, 113 Mann stark inklusive 15 Schlagwerker. Auf dem Hinterrang, über dem Orchester, sind in der Mitte zehn Stühle entfernt worden. Auf der geräumten, kleinen Fläche wird gespielt. Auf den Stühlen der nächsten Reihe, dahinter und auf dem darüber liegenden Balkon ist genug Raumen für die von Zimmermann konstruierten Simultanszenen. Dazu eine Wendeltreppe und drei Rangtüren für Auf- und Abtritte. Das war es.
Theater des Wegschauens
Hier organisiert Regisseur Calixto Bieito (der das Stück 2013 in Zürich schon mal inszeniert hat) ein Theater der Andeutungen, Symbole und einfachen Bewegungen. Die Figuren sind gekleidet wie Theaterbesucher. Alles ist einfach. Die Struktur schafft nur die Musik. Die Handlung erscheint, in allen Verzweigungen, erschreckend klar. Dass es hier um Machtmissbrauch von Mehrheiten und Einzelpersonen und um Demütigungen geht, die ganze Zeit. Auf eine Weise, die nicht erlaubt, wegzuschauen.
In dieser Konzeption ist schlüssig, warum Zimmermann sich eine Projektion einer explodierenden Atombombe gewünscht hat, die hier mit einer gelben Lichtstimmung angedeutet ist. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, Profit und Gier steht meilenweit über Mitgefühl. So wird Marie (Emily Hindrichs), die eigentlich den Tuchhändler Stolzius (Nikolaj Borchev) heiraten wollte, von dem Edelmann Desportes (Martin Koch) verführt und verliert alles. Und keiner, nicht mal die Familie, hilft ihr. Dieses Theater des Wegschauens greift uns an, besonders in dieser reduzierten Version. Weil es keine Ablenkung gibt.
Strukturiert und wortdeutlich
Und natürlich, weil wahnsinnig gut und präzise gespielt und gesungen wird. Das hat wiederum damit zu tun, dass Dreiviertel der Besetzung, darunter die drei Hauptdarsteller, und der Musiker 2018 auch schon dabei waren. Die Vertrautheit mit dieser speziellen Musik kann man spüren, besonders beim sehr wortdeutlichen Kommentatorenpaar Pirzel (John Heuzenroeder) und Eisenhart (Oliver Zwarg). Bei Tómas Tómasson (Wesener) und Kismara Pezzati als seine Mutter fallen kräftige, individuell gefärbte Stimmen auf, an Alexandra Ionis als Stolzius‘ Mutter begeistert ihr großes Bühnentemperament.
Aber der Held des Abends ist der Konzertsaal. Die Kölner Philharmonie ist nicht nur, wenn man will, eine Zimmermannsche „Kugel der Zeit“. Vor allem ist sie ein Raum, in dem man sehr gut hören kann. Das benutzt François-Xavier Roth. Er dirigiert eher etwas langsamer, lässt Stille an die Musik und formt Klangwirkungen und Effekte sehr genau und vor allem sehr transparent zu Schichten. So hört man vieles, dass man sonst nicht hört und versteht sehr viel vom Text. Eine grandiose Aufführung.
Die am 21.1. in der Elbphilharmonie und am 28.01. in der Philharmonie de Paris noch einmal zu bestaunen ist. Und hoffentlich auch noch anderswo.