Foto: Das Ensemble unter einer Batterie an funkelnden Kronenleuchtern. © Wilfried Hösl
Text:Joachim Lange, am 24. Dezember 2023
Barrie Kosky inszeniert die Operette der Operetten an der Bayerischen Staatsoper. „Die Fledermaus“ von Johann Strauss birgt Hürden. Kosky als anerkannter Könner widmet sich dem Stück mit zwar etwas wenig Tiefe, kann aber ein leuchtendes Statement gegen die dunkle Zeit setzen.
Wenn Barrie Kosky draufsteht, ist auch Barrie Kosky drin. Schon, weil er ein Sowohl-als-auch-Könner ist, die große Show drauf hat und den Blick in die Abgründe; der menschlichen Natur, der Geschichte, der Gesellschaft. Ein Musterbeispiel, wie man das gleichzeitig hinbekommt, lieferte er, der gerne auf seine jüdischen Wurzeln verweist, ausgerechnet in Bayreuth mit seinen „Meistersingern“. Selten so gelacht. Selten so gegruselt. In seiner Zeit als Intendant der Komischen Oper in Berlin hat der operettenaffine Australier dir Berliner Operette wachgeküsst. Er hat da vor allem die Puppen aller Geschlechter tanzen lassen und auf die Kraft des Bühnenzaubers und die Fähigkeit seines Publikums gebaut. Das waren durchweg Verbeugungen mit lächelndem Gesicht und ohne ausgestreckten Zeigefinger.
Hereinwehender Zeitgeist
Bei Offenbach war er schon, jetzt in München also, nach jahrelangem Zieren (aus Respekt? Oder durch nur kokettierend?), die „Fledermaus“ von Johann Strauss – die Operette der Operetten. Es ist ein Meisterwerk, das in einer exemplarischen Nachkrisenzeit 1874 zündete. Dabei wirde es von einer unverschämt treffsicheren Musik getragen und allein schon deshalb funktioniert es immer noch bestens. Eins, das auch von ambitionierten Regisseuren (in dem Falle mal mit „innen-Ergänzung“, weil keine geringere als Ruth Berghaus kurz vor ihrem Tod einen Meilenstein der Rezeptionsgeschichte in Leipzig hinterließ) quasi als Oper ehrenhalber ernst genommen wird.
Zudem haben ihre Schöpfer und die Aufführungstradition und -praxis vor allem mit der Sprechrolle des Frosch im Dritten Akt mehr als einen Spalt offengelassen. Durch den den Spalt weht der Zeitgeist herein. Hier kann man Regionales aufs Korn nehmen und dem besten Schauspieler, der vor Ort zur Hand ist, einen Gastauftritt verschaffen. Diese Einlagen können auch schief gehen (wenn sie als übergriffige, ideologische Blendgranaten ins Publikum geworfen werden, wie kürzlich in Halle). Selbst wenn sie exzellent den Zeitgeist kitzeln, können sie mit einer sturen Erwartungshaltung im Publikum kollidieren (in der Dresdner Staatsoperette). Aber sie können eben auch fabelhaft funktionieren, wenn sie bei sich und ihren Möglichkeiten bleiben, wie gerade in Meiningen. Gut abgehangene Kalauer inklusive. Es muss nicht gleich der 32. Dezember am gefängniseigenen Abreißkalender sein, aber bei der Spezies von Witzen lacht man auch über die alten Bekannten gerne.
Herausfordernder dritter Akt
Hier weicht Kosky besonders stark von der gängigen Rumblödelei ab. Und amüsiert das Publikum trotzdem. Aus dem einen Frosch macht er gleich ein halbes Dutzend. Die Einstiegs-Sliwowitzelei ersetzt er durch eine perfekte Slapstick-Performance von Max Pollak als Frosch I. Frank Strohmeier führt etwas wortgezügelt die übrigen fünf Synchron-Frösche an. Sie überlassen Martin Winkler mit seinem bizarren, hochhackigen Auftritt im silbernen Paillettenslip und im Dauerdialog mit seinem ansonsten nackten Körper das Feld. Weil Winkler auch zackige sprechen kann – funktioniert dieses besonders schräge Porträt mit und ohne langsträhniger Perücke verblüffend.
Man merkt freilich trotzdem, dass der dritte Akt der wohl am schwersten zu machende ist. So ganz von selbst erschließen sich die Aufdeckung von Dr. Frankes Intrige, bei der sie behaupten, alle eingeweiht gewesen zu sein, nicht. Das trifft höchstens für den Prinzen zu, aber auch nicht auf den Berufswechsel von Adele. Aber sei’s drum. Katharina Konradi kriegt es mit ihrem finalen Spiel-ich-die-Unschuld-vom-Lande Auftritt als Adele fertig, daran zu erinnern, dass ihre Rolle ziemliche Tücken hat und wie man die mit Bravour bewältigt!
Das Ensemble zum Ball des Prinzen. Foto: Wilfried Hösl
Fledermaus-Alptraum
Schon zur Ouvertüre beginnt die Geschichte im Bett der Eisensteins vor einem halben Dutzend beweglicher Fassaden im Format des ersten Wiener Bezirks im Hintergrund (eine ist per Straßenschild am Judenplatz verortet) mit einem Fledermaus-Alptraum Eisensteins. So ganz witzig fand zumindest sein Unterbewusstsein die Art wie er seinen Freund Falke (demonstrativ seriös: Markus Brück) der Lächerlichkeit preisgegeben hat wohl doch nicht. Im Dutzend umflattern die von Otto Pichler bestens choreografierten Fledermäuse Eisenstein und rauben ihm den Schlaf! Bei Gattin Rosalinde sorgt ihr smarter Verehrer Alfred (Sean Pannikkar) unter Einsatz seines Tenors für emotionalen Aufruhr.
Mit Georg Nigl und Diana Damrau sind die Eisensteins – wie es sich für München auch gehört – hochkarätig besetzt. Wobei es vor allem Nigl ist, der restlos in jeder Hinsicht überzeugt. Mit einer Prise Feuerzangenbowlen-Charme, ganz der Schlawiner und glaubhaft Wienerisch, führt er das Ensemble an. Diana Damrau glänzt natürlich mit ihrer Höhenleichtigkeit und ihrem deftigen Selbstbewusstsein als Rosalinde – allerdings hätte man sich sowohl beim effektvoll präsentierten Csardas als auch im dritten Akt etwas mehr Tiefe gewünscht.
Ball der Genderklischees
Dass es bei Kosky auf dem Ball des Prinzen Orlofsky hoch her und quer bzw. queer zu allen Genderklischees zugehen würde, war zu erwarten. Klaus Bruns greift da bei den Ball-Kostümen für den Chor mit vollen Händen in die Federboa-, Glamour- und Paillettenkisten. Der überzeugend kraftvoll, nur manchmal etwas schrill auftrumpfende Counter Andrew Watts hat als Orlofsky allerhand zu tun, um vor allem seinen Dragqueen-Aufmachung zu präsentieren.
„Die Fledermaus“ von Johann Strauss: die Operette der Operetten. Foto: Wilfried Hösl
Es ist eine Pracht und bedient die Erwartungen. Da Kosky ganz offensichtlich die „Fledermaus“ mag, verschont er das Publikum auch mit den heute üblichen (aber nie wirklich etwas bringenden) Rockeinlagen auf dem Prinzenball. Er gönnt der tanzenden Compagnie dennoch eine Revuenummer vom Feinsten. Hier lässt es Vladimir Jurowski zur Polka „Unter Donner und Blitz“ dann auch im Graben richtig krachen, während er sonst aufs Einschmeicheln aus ist und sich dafür auch mal in ganz eigene Tempi fallen lässt.
Von brüchigen Fassaden bis hin zu greller Utopie
Kosky zieht durchweg alle Register seiner Personenregie, kitzelt aus allen Protagonisten die Lust am Komödiantischen heraus (wobei natürlich nicht alle solche Schauspieltalente wie Nigl oder Winkler sind) und bleibt – für seine Verhältnisse fast schon brav – bei der Geschichte. Beim Straßenschild Judenplatz kann man sich was denken, oder auch nicht. Dass die Fassaden der Wiener Häuser und der bürgerlichen Ehe brüchig sind, in der utopischen Verbrüderungsstimmung des zweiten Aktes fallen und einer grell überzeichneten Utopie weichen, zu der sich dann auch noch eine Batterie von funkelnden Kronleuchtern herabsenkt, ist Kosky und seiner Bühnenbildnerin Rebecca Ringst Interpretation genug.
Dass am Ende nur der Champagner Schuld ist, wenn alle in der Kälte der Fassadengerüste wie im sprichwörtlichen Gefängnis zurückbleiben, glaubt er dem Stück nicht. So wie man als Zuschauer der Versöhnungs-Umarmung von Rosalinde und Gabriel nicht glauben muss. Das Publikum bejubelte kurz vor Weihnachten einhellig ein schillerndes Statement gegen den düsteren Geist der Zeit.