Frauenpower im Handlungsballett

Cathy Marston: Jane Eyre

Theater:Staatsoper Hamburg, Premiere:03.12.2023Autor(in) der Vorlage:Charlotte BrontëRegie:Cathy MarstonKomponist(in):Philip Feeney, Felix Mendelssohn Bartholdy, Fanny Hensel, Franz Schubert

Frauen-Power beim Hamburg-Ballett: Starke Titelheldin, starke Tänzerin, starke Choreografin in Cathy Marstons „Jane Eyre“. Ein Erfolg, der vom Publikum gefeiert wird, als hätte Altmeister John Neumeier Regie geführt.

Die jüngste Premiere des Hamburg-Balletts zeigte, wie man mit alten Stoffen sehr moderne Geschichten erzählen kann. Cathy Marston lässt ihre Tanzfassung von Charlotte Brontës „Jane Eyre“ zwar im 19. Jahrhundert spielen, aber sie arbeitet mit einer modern erweiterten klassischen Bewegungssprache die emanzipatorische Kraft dieser Frauenfigur sinnlich heraus. Ida Praetorius ist in ihrer geradlinigen Strenge die ideale Verkörperung dieser Kämpferin, so hingebungsvoll wie eigensinnig.

Tatsächlich könnte man fragen, warum er die englische Choreografin, inzwischen Ballettdirektorin in Zürich, nicht schon eher eingeladen hat, immerhin ist „Jane Eyre“ schon 2016 uraufgeführt worden und war seither u.a. beim Joffrey Ballett und beim American Ballet Theatre zu sehen. Ihre Auffassung von Handlungsballett ist Neumeiers psychologischen Deutungen verwandt und auch formal innovativer als etwa die Neoklassik von Christopher Wheeldon, der zuletzt einer der raren Gastchoreografen in Hamburg war. Auch Marston erzählt im Rückblick, mit traumartig sich ablösenden Bildern, wie man es aus Neumeier-Stücken von „Endstation Sehnsucht“ bis „Schwanensee“ kennt.

Seelenlandschaft

Patrick Kinmonths mit wenigen Strichen entworfene Heidelandschaft und wesentlich Lichteffekte schaffen das passende, wandlungsfähige Ambiente, das immer auch Seelenlandschaft ist. Denn Jane Eyre ist eine existentialistische Figur, eine gezauste Seele auf der meist unwirtlichen Erde, den Lebensstürmen trotzend. Marston hat dafür eine Gruppe von „D-Men“ kreiert, Dämonen, die sich Jane in den Weg werfen, sie angreifen und wie Sturmböen überrollen. Es sind Männer in gegerbten Anzügen, die nachher auch als bessere Gesellschaft wiederkehren: Eine spannende Idee, Naturgewalt und soziale Widerstände mystisch zu assoziieren.

Aber Jane kämpft sich frei. Die Szene auf der Heide rahmt das Stück. Hier findet sie am Anfang Reverend Rivers (Christoper Evans), rettet sie ins warme Licht. Von hier aus erinnert sie sich: Die Dämonen kommen hinter den Grabsteinen ihres Vaters hervor; mit Eisläuferschritten piesackt sie ihr Cousin (Francesco Cortese), in dessen Familie sie aufwächst, aber sie schubst auch zurück; im Internat muss sie mit den Mädchen auf Schemeln knien, Waschbewegungen erfolgen rituell. Herzlich, aber auch kratzbürstig tanzt Ana Torrequebrada die junge Jane, bevor Ida Praetorius sie ablöst. Marston integriert immer wieder realistische Gesten in den Tanz: Als Lehrerin mit Zeigegestus wird Jane Mittelpunkt der hopsenden Mädchen, die sie ungern gehen lassen.

Von gleich zu gleich

Im Haus des düster-dominanten Edward Rochester unterrichtet sie dessen fröhliches Mündel Adèle, das Lormaigne Bockmühl mit ungebärdiger Lebensfreude zwischen Zappelhandstand und Rollen übern Po gibt, dabei soll sie doch auf Spitze gehen lernen. Karen Azatyan tanzt den geheimnisvollen Macho Rochester in sinnlicher Gespanntheit: mit dem gestreckten Bein dirigiert er Janes Interesse, aber sie tritt ihm auch mal kokett von hinten in die Kniekehlen, ein kleines Leitmotiv ihrer Unbeugsamkeit, das bei der letzten Begegnung wiederkehrt: Zunächst rettet sie Rochester aus dem Feuer, trägt und dreht er sie im Liebes-Pas-de-deux, gefolgt von Eifersuchtsgeplänkel mit der mondänen Anna Laudere als Blanche, die sich von den D-Men wie ein Revuegirl tragen lässt.

Brust an Brust gestehen sich Rochester und Jane ihre Liebe. Von gleich zu gleich. Und wie er es auch dreht, dass er sie dann doch zum Kuss unter sich in den Armen liegen hat, wenig später hält sie ihn genauso unter sich und ist obenauf, eine aussagekräftige Figur. Und sie wird wiederkehren, wenn Jane am Ende zu ihm zurückkehrt. Aus der Hochzeit wurde nichts, weil Rochesters kreolische demente erste Frau Blanche dazwischenfunkt, die Ida Stempelmann mit wilden Sprüngen bereits als Feuerteufel eingeführt hat, Dämonin und Opfer zugleich. Während Jane in die Heide flieht, wird Rochester von Blanche geblendet, bevor diese sich in die Flammen stürzt.

Jane schließt ihre Hände schützend um des blinden Rochester Gesicht, so wie sie es vorher oft bei sich selbst gemacht hat. Sie wiederholen ihren Pas de deux, auch den Kick in die Kniekehlen, Marston führt alle kleinen Bewegungsleitmotive zusammen, verschränkt nun führen sie die Hände zum Herzen. Jane ist jetzt ganz in ihrer Liebe und in sich. Und so kann sie heraustreten aus der Doppelfigur, das selbständige Ich sein, das sie auch in dieser Partnerschaft bleiben wird. Ein starkes, jede Telenova-Romantik unterlaufendes Ende.

Solistinnen und Compagnie sind in ihrem Element, Cathy Marston und das Hamburg-Ballett passen zusammen. Nathan Brock dirigiert dazu Philip Feeneys vorsichtig moderne, Fanny und Felix Mendelssohn zitierende Begleitmusik.