Foto: Shira Patchornik vom Theater Heidelberg singt in "Nebucadnezar" in Schwetzingen die Adina. © Susanne Reichardt
Text:Michael Kaminski, am 2. Dezember 2023
Das Theater Heidelberg gräbt für die Wintersaison in Schwetzingen eine Oper aus dem Jahr 1704 aus. „Nebucadnezar“ erzählt jedoch keine Geschichte aus der Bibel, sondern eine Geschichte voller Intrigen und Liebesrivalitäten – die dem heutigen Fernsehen in Nichts nachsteht.
Das Gift verfehlt seine letale Wirkung. Es reicht lediglich zum Scheintod der altbabylonischen Prinzessin Barsine. Bald aber ersteht die Königstochter aus dem Leichensack, um den trauernden Geliebten Darius in die Arme zu schließen. Dieser freilich hatte sich lange Zeit nicht zwischen ihr, Babylons Monarchin Adina und seiner bisherigen Gefährtin Cyrene entscheiden können. Zu allem Überfluss ist die Königin Barsines Mutter. Von Liebe zum Frauenschwarm Darius getrieben, scheut sie nicht davor zurück, die eigene Tochter ins Jenseits zu befördern.
Wahrlich: Reinhard Keiser und sein Textdichter Christian Friedrich Hunold ergreifen für ihre Oper „Nebucadnezar“ jede erdenkliche Gelegenheit zu einem Plot, dessen Liebeswirren und Intrigen heutigen Seifenopern standhalten. Regisseur Felix Schrödinger lässt sich das für seine Inszenierung am Heidelberger Theater nicht zweimal sagen. Genussvoll treibt bei ihm die Liebe die Personnage zu- und gegeneinander. Angesichts des zwischen seinen Verehrerinnen unentschiedenen Darius kommt es gar zu einer kurzfristigen Koalition von Barsine und Cyrene. Gemeinsam verhöhnen die beiden den Wankelmütigen. Schrödinger kostet solche Augenblicke erwachender weiblicher Solidarität ebenso aus wie deren raschen Zerfall in abwechselnd gefühlige und zickenhafte Rivalität.
Sex and Crime im Schwetzinger Rokokotheater
Beide Konkurrentinnen aber finden ihre Meisterin in Babylons Königin. Im Schwetzinger Rokokotheater, wo die Inszenierung gespielt wird, agiert sie wie die Gattin eines unter ihren Blicken butterweichen Konzernchefs. Wenn sie nicht gerade Darius an die Wäsche geht oder Kabalen wider die Tochter ausheckt, beobachtet und taxiert sie die Vorgänge unter ständigem Zigarettenkonsum. Selbst nach Barsines Wiedererwachen gibt sie nicht auf. Zwar verzichtet sie der Herrscherinnentugend gehorchend vorderhand auf Darius, doch einzig, um ihn in unbeobachteten Augenblicken auch weiterhin zu umwerben.
Alles dies reizt der Heidelberger Spielleiter Felix Schrödinger offenbar stärker als die Bewandtnisse der Titelfigur. Denn Keisers Nebucadnezar erlangt an keiner Stelle Nabucco-Format. Mag der Babylonierkönig immer wie in Verdis Oper der Hybris und dem Wahnsinn verfallen, die Figur bleibt unterbelichtet. Zumal sie ihre Fährnisse eher passiv hinnimmt. Im Gegensatz zum höfischen auf Helden und Tugendbolde abonnierten Publikum, verlangte das bürgerliche der Hamburger Gänsemarktoper, wo das Werk uraufgeführt wurde, nach Sex and Crime ohne übersteil erhobenen moralischen Zeigefinger.
Szenisch und spielerisch bedient sich die Inszenierung von „Nebucadnezar“ in Schwetzingen an der Fernsehgeschichte. Foto: Susanne Reichardt
Final lässt Schrödinger mindestens ahnen, dass der geistig umnachtete und in den Rollstuhl verbannte Herrscher wieder lichtere Momente haben wird. Ausstatter Pascal Seibicke setzt dem reich stuckierten Zuschauersaal des Schwetzinger Schlosstheaters einen schlichten violetten Einheitsraum entgegen. Einzig das pompöse herrscherliche Himmelbett darf als Referenz an Barockoper und Aufführungsort gelten. Modisch bedient Seibicke das Seifenopern-Format trefflich und mit Ironie. Darius steckt im Glamour-Trainingsanzug für Popstars, Barsine in Stiefeln, Lackrock und transparenter Bluse, Königin Adina in eng tailliertem und tief dekolletierten Hosenanzug für vorzeigefreudige Schwerreiche.
Heidelbeger Ensemble überzeugt musikalisch
Die musikalische Seite hält mit der szenischen vollauf mit: Dorothee Oberlinger kocht mit dem Philharmonischen Orchester Heidelberg die Affekte der Figuren hoch. Das hat Kraft, Tempo, Esprit und Pfeffer und ist bei aller Verve immer ausgezeichnet durchhörbar. Keine Frage: Kapellmeisterin und Klangkörper leisten Festspielwürdiges. Florian Götz verkörpert die Titelfigur mit baritonal satter Mittellage und nicht gänzlich freier Höhe. Phänomenal der Countertenor, den Dennis Orellana für Prinz Darius aufbietet. Stupend die elegant fließende Gesangslinie und die wie natürlich daraus erwachsenden Spitzentöne.
Der überbordenden Selbstgewissheit und Abgefeimtheit Adinas verleiht Shira Patchornik spielerisch Dallas- und Denverattitüde, vokal souverän-satte Tongebung. Theresa Immerz gibt sanglich schlank, flexibel und höhensicher die Königin Barsine. Sara Gouzy lässt bei Cyrene erste Andeutungen an die Zeit der Empfindsamkeit vernehmen. Alle weiteren Solisten tragen zu dieser Ensembleleistung aus einem Guss bei.