Foto: Das Ensemble zerlegt im Konfettirausch bereits das Bühnenbild. © Ilja Mess
Text:Manfred Jahnke, am 25. November 2023
Das Theater Konstanz wendet sich einer Aktualisierungserzählung von „Antigone“ in der Inszenierung von Susanne Schmelcher zu. Mit der Zerstörung der Männlichkeit wird auch suggeriert, dass vielleicht nach dem Ende eines Krieges anders gehandelt werden könnte.
Ist die Geschichte der Antigone auserzählt? Generationen von Theatermachern haben in der alten Geschichte des Sophokles Bezüge zu ihrer Zeit entdeckt. Kein Wunder, wenn bedacht wird, dass das Geschehen in einer unruhigen Zeit nach einem Krieg spielt, in dem die alte Machtelite untergegangen ist. Kreon hat damit zu tun, mit aller Gewalt seine Machtansprüche durchzusetzen. Indem er anordnet, Eteokles als Held zu bestatten, Polyneikes aber dem Fraß der Geier anbietet, überschreitet er aus Machtkalkül Grenzen. Die Götter gebieten, dass alle Toten, damit sie der Unterwelt zugeführt werden können, gewaschen und mit Erde bestattet werden. Dass aus politisch strategischen Gründen Götterrecht nicht ausgehebelt werden kann, das führt uns der Widerstand der Antigone vor. Aktualisierungen setzen denn auch eher an der Zeitenwende an, der Zeit nach einem Krieg, die Zeit auch, wo etwas Neues aufgebaut werden muss, vielleicht auch die Voraussetzungen für eine Demokratisierung der Gesellschaft geschaffen werden können?
Antigone der Aktualisierungsreihe
Mit dem leitmotivisch gesetzten Credo: „Schluss jetzt mit Krieg. Tanzen ist besser als töten.“ reiht sich die Inszenierung von Susanne Schmelcher am Theater Konstanz in diese Aktualisierungsreihe ein. Dazu benutzt sie die wunderbar sperrige Übersetzung von Friedrich Hölderlin mit seiner schwäbischen Dialektik, allerdings geglättet durch das Alemannische, das Martin Walser in seiner Bearbeitung einsetzt. Leider verschwindet darin auch das „Fremde“, die Syntax von Hölderlin, die in der Walser’schen Diktion aktuell, fast gegenwartssprachlich wirkt. Im abstrakten Spielraum von Franziska Smolarek – eine dreistufige Podestbühne, überzogen mit grauweißem Tuch voller schwarzer Signaturen – und zeitlosen Kostümen (ebenfalls Smolarek) – entfaltet die Regie von Schmelcher die Geschichte der Antigone.
Lilian Prend und Anne Rohde in fester Umarmung. Foto: Ilja Mess
Zunächst kommt Sarah Siri Lee König als Tiresias aus dem Zuschauerraum, ganz in Weiß und mit Lutscher im Mund, und erzählt die Vorgeschichte. Später ist sie dann zusammen mit Jana Alexia Rödiger der Chor, der hier aber gewaltig zusammengestrichen ist, so dass auch dessen wankelmütiger Opportunismus in den Hintergrund gedrängt scheint. Dafür gibt es von Svea Kirschmeier komponierte Songs, die sich der Klimakatastrophe zuwenden, oder den derzeitigen Kriegsschauplätzen der Welt. Das Zentrum der Handlung – die Familiengeschichte um Kreon – bleibt hingegen unangetastet. Ingo Biermann ist ein grandioser Kreon: am Anfang eitel von sich eingenommen, mit seinem Sohn dann kumpanenhaft Bier aus der Flasche trinkend. Am Ende ist er ein zerstörter Mann, der seine Familie verloren hat. Alle Männlichkeit zerfetzt, das spielt er groß aus.
Leise Todessehnsucht
Fast verschwindet die Antigone der Anne Rohde gegen das furiose Spiel von Biermann: Sie hat sich mit ihrem Schicksal als Märtyrerin abgefunden, sie will nur ihre Aufgabe erfüllen. Rohde spielt die Todessehnsucht der Antigone leise aus. Sie ist keine Empörerin, sondern eher introvertiert. Dabei staunt sie darüber, wie das selbstverständliche Gebot außer Kraft gesetzt werden kann, ohne dass sich jemand dagegen regt.
Jana Alexia Rödiger, Anne Rohde und Sarah Siri Lee König in der Inszenierung „Antigone“. Foto: Ilja Mess
Auffällig hingegen agiert die Ismene der Lilian Prent, als Einzige dem Leben zugewandt. Sehr genau führt Fynn Engelkes vor, wie Hämon sich zunächst bei seinem Vater einzuschmeicheln versucht. Als er dann begreifen muss, dass er auf Granit beißt, stürmt er wütend zum Felsen, dem Gefängnis der Antigone. Was außerhalb der Bühne geschieht, darüber berichtet der Bote in der „Mauerschau“. Jasper Diedrichsen versucht in dieser Rolle neutral zu agieren. Er gehört nicht zur Familie, ist aber als Wächter ständig in deren Geschäfte verstrickt. Diedrichsen betont zunächst die komischen Seiten der Figur. Je grauenhafter die Ereignisse sind, von denen er zu berichten hat, um so emotioneller wird sein Handeln.
„Tanzen ist besser als töten.“: Was Schmelcher/Kirschmeier aufzeigen, ist, wie mit dem Ende eines Krieges die Gesellschaft ihre Ziele demokratisch aushandeln müssen. Dazu war Kreon nicht bereit. Ob er nun als zerstörter Mann dazu bereit ist?