Christian Friedels 150. „Hamlet“
Foto: Christian Friedel als Hamlet in Düsseldorf © Sandra Then Text:Julia Plaschke, am 22. November 2023
Seit elf Jahren spielt Christian Friedel Shakespeares Hamlet in einer Inszenierung von Roger Vontobel – zunächst am Staatsschauspiel Dresden, inzwischen am Düsseldorfer Schauspielhaus. Ein Rollenporträt anlässlich der 150. Vorstellung.
Hamlet ist erwachsen geworden. Das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen hat ihm das Jungenhafte aus dem Gesicht gewischt und Denkerlinien auf die Stirn gezeichnet. Markanter, reifer, reflektierter und tiefsinniger ist der Held der Inszenierung von Roger Vontobel elf Jahre nach der Premiere am Staatsschauspiel Dresden. Und doch kauft man seinem Darsteller Christian Friedel die Rolle des ungestümen Shakespear’schen Rebellen jetzt in Düsseldorf auch mit 44 Jahren noch ab. Wie sich dieser Hamlet mit Trotz und Verzweiflung gegen die königlichen Eltern auflehnt und den ganzen Lebensschmerz bei seinem furiosen Rockkonzert aus sich herausschreit, ist sehr berührend.
Rückblende: Am 24. November 2012 umarmt Wilfried Schulz, damals Intendant in Dresden, die verschwitzte „Hamlet“-Crew (zu unserer Premierenkritik von 2012 geht es hier). Ein Kamerateam darf den Moment hinter der Bühne einfangen, als sie kurz nach der ersten Aufführung zu ahnen scheinen, dass ihnen mit dieser wilden Darbietung etwas Außergewöhnliches geglückt ist.
Hamlet, eine Lebensbegleitung
Christian Friedel, der bei der Premiere 33 Jahre alt war, kann es heute kaum glauben: Ein Viertel seines Lebens steht er als Hamlet auf der Bühne. Am 23. November 2023 wird er die 150. Aufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus feiern. 2019 ist er mit dem Erfolgsstück von der Elbe an den Rhein gezogen. Und auch hier trifft das mehr als drei Stunden lange Werk den Nerv des Publikums und sorgt verlässlich für ausverkaufte Theaterabende. Roger Vontobel bekommt noch immer E-Mails von Zuschauern, die ihm ihre Begeisterung mitteilen. „Ich freue mich total, dass dieser Hamlet eine Lebensbegleitung von Christian und mir geworden ist“, sagt der 46-Jährige, der mittlerweile Schauspielchef am Stadttheater Bern ist.
Seine Inszenierung hat es vor allem durch den musikalischen Kunstgriff geschafft, junge Menschen ins Theater zu locken und ihnen ein Stück Weltliteratur schmackhaft zu machen. Damit hat Vontobel nicht gerechnet. „Das alles ging ja eigentlich als psychologische Reise los“, beschreibt er die Entscheidung, den ersten Teil der Aufführung als Konzert von Christian Friedel und seiner Band Woods of Birnam zu gestalten. Wenn man schon mal einen Schauspieler und Musiker in der Titelrolle hat, dann kommt man auf Ideen wie diese: Hamlet verarbeitet den Verlust seines Vaters durch die Musik. Und wird so zu einer hochemotionalen und nahbaren Figur, mit der sich das Publikum identifizieren kann.
Christian Friedels Hamlet 2012 in Dresden. Foto: Matthias Horn
„Hamlets Gedanken über Leben, Schmerz und Verlust, das sind universelle Gedanken, die wir alle in uns tragen“, sagt Christian Friedel. Wir sitzen im Café vor dem Schauspielhaus Düsseldorf. In zwei Stunden wird er zum 149. Mal Hamlets berühmten Monolog sprechen. „Man könnte mich nachts wecken und ich würde ihn aufsagen.“ Aber Christian Friedel ist ein strukturierter und penibel vorbereiteter Bühnenarbeiter. Egal, wie gut der Text sitzt: „Am Abend vorher gehe ich die wichtigsten Stellen immer noch mal durch.“ Sein Textbuch sieht nach elf Jahren trotzdem noch tipptopp aus. Er hat es zum Schutz in eine grüne Mappe eingebunden; seine Lieblingsfarbe.
„Was in meinem Leben passiert ist, gehört auch der Figur“
Während das Papier so gut wie makellos ist, hat die Rolle in all den Jahren Ecken und Kanten bekommen. Der Hamlet, den der 44-Jährige heute spielt, ist ein anderer geworden. „So, wie ich seine Sätze jetzt spreche und verstehe, hätte ich das vor zehn Jahren nicht gekonnt.“ Als Schauspieler ist er nicht nur an und mit seiner Figur gewachsen. Das Stück ist auch aufgeladen mit seinem persönlichen Schicksal. „Alles, was in meinem Leben passiert ist, gehört auch der Figur.“
Besonders anschaulich wird das bei einer Textstelle wie „Sein oder Nichtsein“, mit der sich Christian Friedel anfangs schwergetan hat. „Der Monolog hat sehr komplexe Gedankengänge.“ Aber je älter er wurde und je mehr er sich weiterentwickelte, umso besser konnte er Hamlets Worte nachfühlen. Im Jahr 2013 haben sie dann sehr plötzlich noch mal eine ganz andere Bedeutung für ihn bekommen. Damals starb seine Mutter, die das Stück geliebt hat und oft im Publikum saß, um ihren Sohn in dieser Rolle zu erleben. Nie wird er das Gefühl vergessen, als er nach einer unbeschreiblichen Phase der Trauer und des Schmerzes zum ersten Mal wieder auf der Bühne stand und mit Shakespeares Versen über Leben und Tod sinnierte. „Ich spiele jeden Hamlet immer auch für meine Eltern.“ Sein Vater, dem er sich 2012 bei der Premiere so nah gefühlt hat, war damals schon zehn Jahre tot.
Wie kann es weitergehen, wenn man einen geliebten Menschen verloren hat? Diese Frage klingt auch in der Musik mit, die Woods of Birnam für Hamlet komponiert haben (einen Medientipp zur Band Woods of Birnam finden Sie hier). Der Schauspieler und Sänger kann sich noch gut an den Moment erinnern, als er mit seinem Bandkollegen Philipp Makolies den Durchbruch für den Song „I’ll Call The Hamlet“ hatte. „Philipp saß am Schlagzeug, ich am Klavier und wir haben uns treiben lassen.“ So lange, bis Christian Friedel fühlte, dass er richtig laut werden und schreien muss, damit Hamlets toter Vater seinen Sohn hört. „So ist der Refrain entstanden.“ Ein gewaltiges Lied, das zur Hymne des Theaterstücks und zum Hit der Band wurde.
Musik und Spiel
Fast zwei Stunden lang trägt die Musik Darsteller und Zuschauer durch den 400 Jahre alten Stoff, bevor Roger Vontobel einen scharfen Schnitt macht und seinen Helden, die Haare noch tropfnass vom aufgeheizten Spiel, in den komplexen, klassisch inszenierten Teil der Geschichte schubst. „Dieser Wechsel kostet mich jedes Mal sehr viel Kraft“, sagt Christian Friedel. Auch nach fast 150 Vorstellungen noch. Aber er sieht in dem Bruch eine Grundzutat des Erfolgsrezeptes: „Die Leute bekommen sehr verschiedene Theatererlebnisse an einem einzigen Abend geboten und gehen mit dem Gefühl nach Hause, viel entdeckt zu haben.“
Die Band „Woods of Birnam“ mit Christian Friedel in „Hamlet“ (Düsseldorf). Foto: Sandra Then
Wenn man Roger Vontobel fragt, warum das Stück ein solcher Dauerbrenner geworden ist, dann nennt er einen Namen: Christian Friedel. „Die Art und Weise, wie er das verkörpert, diese Tiefe des Empfindens und das Einnehmende, das er hat – das ist wirklich einzigartig“, schwärmt der Regisseur. „Christian ist ein begnadeter Sänger und Komponist und ein unglaublicher Schauspieler.“ Da haben sich offenbar zwei gefunden: „Roger und ich haben eine super Energie zusammen“, sagt der Hauptdarsteller. „Ich bin extrem dankbar, dass er mich als Hamlet ausgewählt hat und dass ich das Stück jetzt schon so lange spielen darf.“
Im Schloss Kronborg im dänischen Helsingør gibt es eine Bildergalerie mit Porträts der besten Hamlet-Darsteller der Welt. An dem Ort, wo Shakespeare einst die Handlung seiner Tragödie ansiedelte, hängen sie Kopf an Kopf an der Wand: Schauspieler wie Laurence Olivier, Richard Burton, Jude Law, Mel Gibson, Kenneth Branagh, Gustaf Gründgens, Klaus Maria Brandauer – und Christian Friedel. „Das ist schon eine unglaubliche Ehre, dass ich einer dieser Hamlets bin.“
Mit der Figur wachsen
Vergleichen würde er sich nie mit den anderen. „Jeder spielt die Rolle mit seiner Persönlichkeit und so entsteht immer etwas Neues.“ Das, so Friedel, funktioniert bei einer Figur wie Hamlet deshalb so gut, weil sie um Themen kreist, die alle Menschen beschäftigen. Seit vier Jahrhunderten regt die innere Zerrissenheit dieses Helden und die Suche nach einer Lösung für sein Dilemma zur Auseinandersetzung mit Shakespeares Stoff an.
„Egal, wie alt du bist und wie lange du sie schon spielst: Du kannst mit dieser Figur wachsen“, sagt Christian Friedel. Der Rekordhalter der eisernen Hamletdarsteller ist laut Shakespeare-Forscher Dieter Mehl übrigens der Engländer Thomas Betterton. 48 Jahre lang soll er die Rolle im 17. Jahrhundert gespielt haben. Wenn Christian Friedel das toppen wollte, dann müsste er noch bis 82 durchhalten. Na, wie wär’s? „Puh!“ Der Schauspieler lacht und wischt sich den imaginären Schweiß von der Stirn.