Foto: Kartenspiel auf nacktem Körper im kühlen düsteren Bühnenbild der Inszenierung. © Matthias Baus
Text:Klaus Kalchschmid, am 19. November 2023
In einer Mischung aus musikalischen Stilen sowie gemischter Stimmung findet die Premiere von „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ am Theater an der Wien statt. Die Inszenierung von Tobias Kratzer ist ein tiefgehendes Kammerspiel begleitet durch die Wiener Symphoniker.
Die Handlung von Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“, uraufgeführt 1927 in Prag und hier in der zweiten Fassung sowie in der deutschen Fassung von Max Brod, ist schnell erzählt. Das junge Paar Schwanda und Dorata wird von einem geheimnisvollen Fremden namens Babinsky heimgesucht. Er verführt den Mann zu Abenteuern und landet schließlich mit ihm in der Hölle. Dort verwirkt der seine Seele, Babinsky rettet ihn durch Kartenspiel mit dem Teufel und führt ihn wieder zu seiner Frau.
Märchen zu Kammerspiel
Das kann man als buntes Märchen einer „Volksoper“, wie Weinberger sein Stück nennt, inszenieren. Oder aber wie Tobias Kratzer, als psychologisch tief lotendes Kammerspiel. Zu den letzten Takten der Ouvertüre erleben wir hier bereits den leidenschaftlichen Beischlaf von Babinsky mit Dorata. Sogar einen Stellungswechsel mitten im Akt, der sich am Ende wiederholt, wird vorgeführt. Beim ersten Mal kann Schwanda ahnen, was passiert ist, beim zweiten Mal erwischt er die beiden beim Vollzug. Er tut aber so, als hätte er nichts gesehen. Ja er bedankt sich sogar noch beim Gefährten für die Rettung. Was sich dazwischen abspielt, könnte ein Traum sein oder den tiefen Sehnsüchten Schwandas entspringen. Denn die Eiskönigin, zu der Babinsky ihn führt, ist eine gelangweilte langhaarige Blondine (eine blendende Erscheinung mit eisklirrendem Mezzo: Ester Pavlú) mit einem alten Galan (Sorin Coliban) in edlem klassizistischem Ambiente mit heiligem Sebastian über offenen Kamin. Sie will Schwanda vergeblich verführen.
In mehreren Stellungen zeigt sich das Paar in intimen Momenten. Foto. Matthias Baus
Die Vorhölle dagegen besteht aus einer abgeranzten Bar, in der ein jämmerlicher Luzifer (facettenreich gesungen von Kresimir Stražanac) defekte Spielautomaten traktiert. Das eigentliche Inferno aber stellt einen S/M-Club irgendwo im Untergrund von Wien darf. Am Höhepunkt der Szene überblenden sich Bühnengeschehen (der Arnold-Schoenberg-Chor tanzt und singt in Lack und Leder, mit Brustgeschirr und Peitsche). Dazu kommt ein s/w-Film, der auf einen Silberfäden-Vorhang projiziert ist (Video: Joans Dahl, Manuel Braun). Da geht es ganz nackt und direkt zur Sache und am Ende küsst Babinsky den sichtlich angefixten Schwanda intensiv auf den Mund. Schwanda ist dabei von der ebenfalls im Film zu sehenden Taxifahrt noch leicht verstört, als Babinsky die Hand zu lange auf seinem Oberschenkel ruhen lässt.
Mischung vieler Stile
Rainer Sellmaier hat dafür eine raffiniert wandelbare detailgetreute Bühne zwischen Schlafzimmer mit Eingangsbereich, Villa und Bordell geschaffen. Vor allem in der Unterwelt können sich die Räume magisch drehen und wenden. Auch Weinbergers süffige Musik kennt viele Stile zwischen Operette (von denen er einige komponiert hat), Korngold und Zemlinsky, Melodien à la Smetana, gemischt mit tschechischem Volksgut. Ein wenig Janáček ist dabei (der gleichzeitig seine letzten Opern schrieb) und dann wieder aufregend moderne, geradezu magischen Klänge, wie im Vorspiel der Szene mit der Eiskönigin. Nur der szenisch allgegenwärtige Dudelsack, von dem immer wieder die Rede ist, wird – wie schon von Weinberger vorgesehen – nie gespielt. Man kann das eklektisch finden oder diesen Reichtum, nicht zuletzt in ausgedehnten Zwischenspielen, schätzen. Die Wiener Symphoniker spielen jedenfalls mit schillernder Farbigkeit unter ihrem designierten musikalischen Leiter Petr Popelka.
Diese Leuchtkraft findet man auch bei den drei Hauptpartien: Vera Lotte-Boecker ist eine leichtsinnige junge Frau, die genauso sprunghaft sinnlich schön in allen Lagen singt wie sie über die Bühne springt. Pavol Breslik ist ein bieder-bärtiger Babinsky im Anzug mit Weste. Allerdings stattet er ihn mit so viel verführerisch tenoralem Charme und warmen, erotischen Spitzentönen aus, dass man ihn trotz aller Zwielichtigkeit einfach gern haben muss. Ebenso wie den Schwanda von André Schuen, ebenfalls ein ganzer Mann mit berückend virilem Timbre zwischen bassbaritonalem Grund und leuchtenden Spitzentönen. Leider lässt er alles mit sich machen und beweist wenig Charakterfestigkeit.