Szene aus "Zwei Sonnen und ein Untergang"

Grelles Leuchten nach der Bombe

Kevin Rittberger: Zwei Sonnen und ein Untergang

Theater:Theater Münster, Premiere:10.11.2023 (UA)Regie:Matthias KöhlerKomponist(in):Antonia Matschnig

Das neue Stück „Zwei Sonnen und ein Untergang“ von Kevin Rittberger führt in die Südsee. Dort verhandelt es viele große Fragen. Die Inszenierung in Münster wirkt etwas überfrachtet.

Was für einen tollen Handlungsort hat sich Kevin Rittberger ausgesucht, um die Themen seines neuen Stücks „Zwei Sonnen und ein Untergang“ zu verhandeln: die Marshallinseln, eine irgendwo zwischen Australien und Amerika im Pazifik badende Republik mit ein paar Zehntausend Bewohnern. Wer mit dem Satellitenblick und dank Urlaubsprospektbildern dort mal hinschaut, sieht ein Gewirr von Inseln und Atollen, türkisblaues Meer, azurner Himmel, Palmen, endlose Strände. Tropenparadiesisch wie die Südseebilder Paul Gaugins.

Wer auf die gerade mal 180 Quadratmeter Landfläche aber einen Fuß setzt, betritt einen von nuklearer Endzeit, Klimakatstrophe, Kolonialismus und Umweltverschmutzung erzählenden Ort. Die Marshallinseln wurden 1895 vom Deutschen Reich in Besitz genommen. 1906 offiziell Kolonie, also ausgebeutet und christianisiert. Nach dem Ersten Weltkrieg werden sie dann an Japan weitergereicht. Später an die USA, die dort 1946 bis 1958 Dutzende Atombombentests durchführten. Heute kämpfen die Bewohner gegen die Gefahr, noch in diesem Jahrhundert ihren Lebensraum unterm steigenden Meeresspiegel verschwinden zu sehen.

Eine Gestalt bewegt durch orange angeleuchteten Nebel.

In Münstet führt Kevin Rittbergers neues Stück an einen spannungsreichen Ort. Foto: Bettina Stöß

 

Geschichte vom Ende der Welt

Mitten hinein ins Problemgeflecht lässt Rittberger die Journalistin Schattenmeier (Clara Kroneck) reisen und schon mal ein wenig Pathos verlautbaren: „Ich spüre das Ende der Welt am Ende der Welt.“

Den Bühnenboden des uraufführenden Theaters Münster ziert Ausstatter Patrick Loibl mit dem Abbild der Betonkuppel, die von den Amerikanern über radioaktiv verseuchte Hinterlassenschaften gegossen wurde und gerade porös wird. Als Mahnwache wohnt dort nur noch die Hüterin einer Tankstelle (Agnes Lampkin) – als lebendiges Archiv der Geschichte ihres Volkes.

Sie erzählt von Vertreibung, verstrahlten Lebensmitteln und missgebildeten Babys. Ein prima Ausgangspunkt für Rittbergers immerwährende Suche nach gemeinsamen Neuanfängen – hin zu einer verwirklichten Utopie. Da es dafür aber gerade keine konkreten Anhaltspunkte gibt, wird das SF-Genre genutzt und Schattenmeier auf dem Zeitstrahl rückwärts gebeamt, um die Erfindung der Atombombe vielleicht rückgängig machen zu können.

Theater voller Krisen

Währenddessen werden in der Redaktionsstube ihres TV-Senders weitere Diskurse angetippt. Wobei das Problempanoptikum noch um eine KI (Ansgar Sauren) ergänzt wird, die erstmal mit der Beschimpfung „algorithmisches Arschloch“ konfrontiert ist. Dann sollen aber ihre halluzinatorischen Fähigkeiten mit weiteren Datenkonvoluten gefüttert werden, damit sie einen Weg aus dem globalen Krisenmodus findet.

Rittberger hat dazu theoriefirm und botschaftswillig viel zu erzählen und viel recherchiert. Sein erstaunlich wutfreies Denken kommt in kleinen Informations-, Belehrungs- und Moralisierungsmonologen daher. Etwa über die Stärke der gezündeten Bomben und unser aller Verantwortung für den vom Kolonialismus losgetretenen Niedergang der Marshallinsel-Kultur. Es erblüht auch der Umdenken-Appell: nicht ein Land, ein Diktator, sondern die Bombe sei der zu bekämpfende Feind.

Ein Mensch mit Sauriermaske steht im Halbschatten vor mehreren Zapfsäulen.

Die Inszenierung m Theater Münster spielt mit Science Fiction und Albernheiten. Foto: Bettina Stöß

 

Albernes Schauspiel in Münster

Regisseur Matthias Köhler setzt in Münster auf kunterbunte Optik. Für eine Atombombenexplosion lässt er das Knarzknistern des Geigerzählers hören, dann ein lautes Bumm. Lichter blinken, ein Palmidyllenbild beginnt zu wackeln, wird horizontal von Wind und Sand durchpustet, während vertikal ein Atompilz in aller ästhetischen Pracht erwächst. Da es vor- und nachher um Rittbergers Wortwolken, weniger um Figuren geht, werden diese nicht groß entwickelt, sondern agieren als launig Aufmerksamkeit animierende Moderatoren vis-à-vis zum Publikum und warten mit Sätzen auf wie „Vergiss Urlaub, das funzt nicht mehr, Digger“. Für irgendetwas oder irgendwen Empathie erobern sie nicht.

Wenn die Indigene erzählt, keine Kinder bekommen zu können, wird Regen in Bild und Ton eingespielt. Die Protagonistin trägt eine zerfetzte Mischung aus Warnwesten- und Borussia-Dortmund-Fan-Uniform, rückt aber nicht als Warnerin in heldischer Ambivalenz in den Fokus, sondern als selbstinszenierungsgeile Medien-Tussie.

Köhler inszeniert auch lieber mal gehüpfte Albereien und läppische Tanzeinlagen als lebhaft eloquent oder innig widerhakig geführte Dialoge. Lässt mit einem Kettcar über die Bühne rasen und den Autor im Parkett direkt ansprechen: „Du Kevin, schreibst du noch selbst, hä? Oder die KI?“ Ach ja, die Uncle-Sam-Stereotype hält sich den Zapfhahn der Tankstelle vor die Hüfte und lässt ihn ordentlich losspritzen.

So lustig banal bebildert plätschert der Abend dahin, kann kein Gefühl von Dringlichkeit entwickeln für die Angst vor einer zusammenbrechenden Welt und das vielfach schlaue Räsonnement des eher mäandernden denn zielgerichtet analytisch argumentierenden Textes. Der Uraufführungsapplaus fällt knackig kurz aus.