Foto: Familie in Aufruhr: v.l.n.r.: Gesa Schermuly, Fabienne-Deniz Hammer, Georg Böhm, Carmen Priego und Lukas Graser © Joseph Ruben
Text:Andreas Falentin, am 10. November 2023
Das Theater Bielefeld wagt mit Anne Jelena Schultes „Die Alleinunterhalterin“ einiges. In der Komödie geht es um alleinerziehende Mütter. Das funktioniert in der Uraufführung, weil nicht das Lachen, sondern die Menschlichkeit im Vordergrund steht.
Anja Schulz, die Protagonistin von „Die Alleinunterhalterin“, ist nicht etwa in der Comedy- oder Zirkus-Branche tätig. Sie ist alleinerziehende Mutter. Das Stück zeigt uns einen Tag aus ihrem Leben. Das erfahren wir von Ohleander, dem Hund der Familie, der immer mal wieder das Publikum anspricht. Die drei Kinder und der Hund werden von ausgewachsenen Schauspieler:innen dargestellt, die Kostüme von Sandra Maria Paluch wirken übertrieben, das Wohnzimmer-Dekor von Lydia Peters und Anna Sörensen ist grell. Und die Handlung ist schrill: Am Anfang erfahren wir, dass Anja, Ex-Schauspielerin und jetzt Trauerrednerin, ein Filmangebot aus Hollywood hat, als „Jane Bond“. Ihre zweite Tochter Juli ist ein Chemie-Nerd, will einen Kunststoff erschaffen, um die finanziellen Nöte der Familie zu beseitigen und legt ein Feuer in der nach und nach verwüsteten Wohnung.
Direkt und sympathisch
Aber all das stört uns nicht. Weil es nur serviert wird, nicht ausgestellt oder auf der Handlungsebene verdoppelt. Die Schauspieler:innen spielen sehr direkt und sehr sympathisch. Autorin Anne Jelena Schulte hat ein Pointen-Feuerwerk geschrieben. Der Regisseur Dariusch Yazdkhasti schärft es und gibt ihm Tempo, lässt schwache Pointen an den stärkeren zerschellen. Und wir sehen durch das Sprach-Gewitter hinaus – trotz des abrupten Handlungsanfangs –, dass es gar nicht um Handlung, um Entwicklung geht in „Die Alleinunterhalterin“, das vielmehr ein Zustand beschrieben wird, richtungslos sozusagen.
Anja ist wirklich allein mit ihrer Verantwortung für Juni, die immer am Handy ist und unglücklich verliebt, ebenso mit der Tochter Juli, dem Kleinkind August und Ohleander, dem Hund. Die Kinder sind mit sich selbst beschäftigt, der Ex-Mann ist eine Null. Und das Umfeld, die faule Gutmensch-Lehrerin, der Sanitäter, der Juni nach Hause bringt nach einem Elektrolytgetränke-Schock, der Internet-Marketing-Experte, der Juni vermarkten will, helfen nicht. Sie alle werden von Rosalia Warnke gespielt mit viel Kostüm, Perücken und Energie, als Chargen, die das Chaos um Anja vergrößern und ihre Verzweiflung steigern.
Show-Einlagen als Atempausen
Es folgen immer neue Pointen, das Spiel der Darsteller:innen bleibt direkt. Hier geht es nicht um Charaktere oder Farben, sondern ausschließlich um Tempo und einen Draht zum Publikum. Atempausen schaffen nur Show-Einlagen, einfache, sehr exakt ausgeführte Gruppenchoreografien und einige Gesangseinlagen. Carmen Priego, offensichtlich eine außergewöhnliche Sängerin, singt als Anja ein altes Lied in Englisch über das Chaos in ihr, Gesa Schermuly als Juni singt von der Liebe, Fabienne-Deniz Hammer als Juli reiht singend Chemikaliennamen aneinander, als wäre es ein Lied von Reinhard Mey. Die Lehrerin wiederum wollte früher Opernsängerin werden, also versucht Rosalia Warnke es als „Carmen“, stimmlich beeindruckend aber textschwach. August (Lukas Graser) hingegen spricht noch nicht und der Hund (Georg Böhm, der auch den Ex-Mann gibt) singt nicht.
Georg Böhm als der Hund Ohleander. Foto: Joseph Ruben
Irgendwann haben wir es geblickt: Es geht auch um unser Mitgefühl, abgefedert von Humor, um die Aufforderung zu helfen, wenn uns einmal eine Anja begegnet. Deswegen gibt es hier keine Anklage, sondern nur Sympathie, auch für die „schlechten Menschen“. Das Ende ist ein wenig gewaltsam; vielleicht war die Pointen-Maschine zu stark. Anja sagt aus Verantwortungsbewusstsein ihren Hollywood-Job ab, August redet plötzlich fließend, und der Geist einer von Anja beredeten toten Frau, eine Stimme und ein weißer Fleck auf der Bühne, zieht bei Anja ein, um nicht mehr allein zu sein. Ein großer Wunsch steht am Ende, der Wunsch, nicht mehr alleine zu sein. Ungewöhnliches Theater.