Foto: Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin im Doppelabend "Der Auftrag/Psyche 17" © Armin Smailovic
Text:Barbara Behrendt, am 29. Oktober 2023
Jan-Christoph Gockel inszeniert zum ersten Mal auf der großen Bühne des Deutschen Theaters in Berlin. Heiner Müllers bitterem Revolutionsdrama „Der Auftrag“ stellt er eine postkoloniale Erwiderung des togolesischen Autors Elemawusi Agbédjidji gegenüber. Schöne Idee – die in einer zähen Materialschlacht endet.
Eines kann man Jan-Christoph Gockel wirklich nicht vorwerfen: dass auf seiner Bühne nichts los wäre. In Szene Eins flimmern Bilder von schwarzen Demonstrierenden über den Gaze-Vorhang. Sie verbrennen französische Flaggen und halten Schilder mit „Adieu la France!“ hoch. In Szene Zwei tritt Heiner Müllers „Engel der Verzweiflung“ mit blutigen Flügeln auf und verkündet den Niedergang der einstigen Kolonialmacht: „Ich sehe großes Unheil über Frankreich hereinbrechen. La Grande Nation. Sie schreitet über unsere Leichen. Will denn das nie aufhören: Morde, Morde, Morde?“
Später bevölkern weiß verkleidete Skelette mit riesigen Totenköpfen und gelben Zähnen (Masken von Claude Bwendua) die Bühne. Ein Marionettentheater fährt auf, Sterne senken sich vom Himmel, von der Unterbühne fährt ein Aufzug herauf. Und der Engel singt düster „The Doors“: „This is the end. My beautiful friend …”
Immer währende Revolution
Dass es schlecht um diese Welt steht, ist also nicht zu übersehen. Das deckt sich mit dem Befund Heiner Müllers, dessen Stück „Der Auftrag“ im ersten Teil des Abends gespielt wird. Darin sollen drei Abgesandte die Französische Revolution nach Jamaika bringen und einen Sklavenaufstand gegen die herrschenden Briten starten. Doch dann übernimmt Napoleon in Paris die Macht und der Auftrag wird zurückgenommen. Die Revolution ist gescheitert, die Menschen bleiben Herren, Sklaven oder Verräter.
In den Szenen, in denen sich die Abgesandten übers Aufgeben oder Weiterkämpfen streiten, werden zumindest ansatzweise Figuren erkennbar – und es zeigt sich erneut: Das neue Ensemble-Mitglied Julia Gräfner (hier als glatzköpfiger Anzugträger Debuisson) ist eine Wucht!
Darüber hinaus aber ist das immer noch brandaktuelle, aber schwere Müller-Stück über den Sinn der Revolution, die ihre Kinder frisst, hoffnungslos zugedeckt vom Sammelsurium der mal pathetischen, mal albernen Bühnenmittel – in der Wirkung ist das ungeheuer ermüdend.
Blutverschmiert steht der Engel der Verzweiflung in Berlin auf der Bühne. Foto: Armin Smailovic
Postkoloniales Theater
Im zweiten Teil folgt dann jedoch der entscheidende Clou: Der Regisseur stellt dem Text des weißen Autors, der drei weiße Heilsbringer nach Jamaika reisen lässt, den neuen Text „Psyche 17“ des Togolesen Elemawusi Agbédjidji gegenüber. Dessen Figuren beschweren sich sogleich über die Geschichtsklitterung: „Ich hätte es besser gefunden, wenn es in der Geschichte die Sklaven gewesen wären, die selbst revoltieren, um sich zu befreien. So war es in Wirklichkeit, bevor die Literatur der Wahrheit den Hals umgedreht hat.“
Dieser Perspektivwechsel deutet auch Müllers poetisch-bizarre Traumsequenz vom Mann im Fahrstuhl neu, der durch Raum und Zeit geschleudert wird. Hier steht eine Woman of Colour im Aufzug, die Schauspielerin Isabelle Redfern, und interpretiert ihn als Allegorie auf Klassismus: „Was sich zwischen den Etagen befindet, existiert nicht mehr. Entweder du bist oben oder unten. Entweder du bist Herr oder Knecht.“
Der Aufzug aus dem Traumtext reicht bis ins All. Foto: Armin Smailovic
Überfüllte Bühne
Die Kolonialisierung der Gegenwart dehnt Agbédjidji auf den Weltraum aus, wo der Mensch droht, dieselben Fehler zu begehen wie auf der Erde. „Psyche 17“ – das ist ein Asteroid voller Bodenschätze, die es auszubeuten gilt. Wie könnte es diesmal gerecht zugehen, fragt der Text. Ohne mit einer lapidaren Antwort aufzuwarten.
Auf dem Papier ist dieses theatrale Großprojekt mit Künstler:innen aus Kongo, aus Togo und Nigeria also durchaus erhellend. Bis es Jan-Christoph Gockel dann auf der Bühne mit unendlich vielen Kitsch- und Trash-Szenen zu einer dreistündigen zähen Masse verrührt. Inklusive Schlagermove, wenn am Ende doch tatsächlich DJ Ötzi neu interpretiert wird: „Einen Stern, der deinen Namen trägt, hoch am Himmelszelt, den schenk‘ ich dir heut‘ Nacht.“