Foto: Gábor Biedermann und Therese Dörr in "Offene Zweierbeziehung" am Staatsschauspiel Stuttgart © David Baltzer
Text:Manfred Jahnke, am 29. Oktober 2023
In dem Stück „Offene Zweierbeziehung“ überzeichnen Dario Fo und Franca Rame die Beziehung zwischen Mann und Frau. Am Schauspiel Stuttgart bedienen Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Ensemble die Komödie perfekt – vergessen aber die ernste Note.
Den Stücken von Franca Rame und Dario Fo eignet ein eigentümlicher Bezug: Sie sind durch und durch komödiantisch, überliefern herrschende Verhaltensmuster dem Lachen und sind fest in der politisch-gesellschaftlichen Situation ihrer Zeit eingebettet. Auch „Offene Zweierbeziehung“ aus dem Jahre 1983 wird durch diese Mischung gekennzeichnet. Auch wenn die zugrundeliegende Handlung weit über ein zeitgebundenes Phänomen hinausweist. Es geht um die Beziehung zwischen den Geschlechtern.
Komödie über Ehe-Tücken
Nach langen Ehejahren fordert der Ehemann eine offene Zweierbeziehung ein, will Sex jenseits des Ehebetts haben. Aber diese „Offenheit“, die nominell auch Antonia, seiner Frau, zugestanden wird, soll nur für den Mann gelten. Er darf sich alle Freiheiten erlauben, sie darf sich in Selbstmordversuchen bewegen.
Aber als sie es wagt, sich auf eine neue Liebe einzulassen, da dreht er durch und begeht nun seinerseits einen wirklichen Selbstmord: Er lässt in das kalte Wasser seiner Wanne einen Fön fallen.
Gábor Biedermann und Therese Dörr überzeugen mit ihrer Darstellung. Foto: David Baltzer
Selbstbewusste Frauen
Autorin Franca Rame entwickelt in ihrem Stück ein vielfältiges Repertoire feministischer Haltungen. Auch, wenn sie sich nicht „als befreite Frau“ betrachtet, beschreibt sie sehr genau den schwierigen und widersprüchlichen Prozess einer weiblichen Selbstbewusstwerdung. Nicht zufällig war das Stück ein Renner in den 80er-Jahren.
Aber wie relevant ist das Thema in Zeiten des Genderns und der Wokeness? Andreas Kriegenburg macht das am Schauspiel Stuttgart gut: Er improvisiert mit Therese Dörr (Antonia) und Gábor Biedermann (Ehemann und Sohn) sehr nahe an der Textvorlage von Rame und Fo. An den Handlungsdrehpunkten ändert er wenig, nimmt aber alle zeitbezüglichen Anspielungen heraus.
Er verkneift es sich, diese durch aktuelle Debatten oder politische gegenwärtige Vorgänge zu ersetzen. Er wählt mit Dörr und Biedermann einen anderen Weg, der auch schon in der Vorlage enthalten ist: Er betont den Theatervorgang selbst. Immer wieder unterbrechen sie das Spiel und müssen sich an die Spielverabredungen erinnern.
Komik durch Unterbrechungen
Mit diesen Spiel-im-Spiel-Situationen, die sich ständig selbst unterbrechen und kommentieren, baut Kriegenburg einen hohen komödiantischen Level auf. Unterstützt wird dieser von der dramaturgischen Konstruktion von Rame und Fo, die die Geschichte dieser Ehe aus den Perspektiven von Antonia und dem Ehemann – manchmal nacheinander, manchmal gleichzeitig – erzählen und aus dem Stand in den Dialog einsteigen.
Rame und Fo arbeiten mit dem hohen Tempo der Farce, das auch Kriegenburg beherrscht. Therese Dörr macht das toll: Mit trockenem Humor lässt sie den Ehemann auflaufen, beherrscht die Stop- und Go-Technik des Komischen, kann Pausen setzen. Dabei gelingt es ihr, ihre Verzweiflung auszudrücken und den Selbstbewusstseinsprozess in ihren komischen und ernsten Widersprüchen groß anzuspielen. Einfach spannend, ihr zuzusehen.
Gábor Biedermann ist ebenfalls ein Komödiant, allerdings outriert er in vielen Situationen: Die von ihm zur Schau gestellte Männlichkeit steht auf tönenden Füssen. Er hat die Arschlochkarte in diesem Spiel, aber zu Recht, denn in seiner eitlen Selbstgefälligkeit fehlt ihm jede Empathie für Antonia.
Kriegenburg inszeniert „Offene Zweierbeziehung“ als direktes Anspiel an das Publikum. Dörr und Biedermann versuchen jeweils das Publikum zu ihren Komplizen zu machen. Da wird denn auch schon einmal ein Eis oder ein Glas Weißwein an die Zuschauer:innen gereicht.
Die Bühne ist weiß und lässt Raum für das Spiel. Foto: David Baltzer
Theater der puren Komödie
Eigentlich bräuchte es da gar kein Bühnenbild, aber Kriegenburg, der auch die Szenerie geschaffen hat, lässt zu Beginn einen vorwiegend weißen Raum hochfahren, mit einer großen Couch und einem schmalen Tisch davor, einem Staubsauger an der Wand, und auf der rechten Bühnenseite ein großer Tisch mit vier Stühlen, einer Obstschale im Zentrum – alles sehr stylisch.
Erstaunlich, dass die Inszenierung ohne Video und Triggerwarnung (immerhin wird hinter der Bühne drei Mal mit einer Pistole geschossen) auskommt, fast ohne szenischen Firlefanz (einmal gibt es eine Szene mit Staubsauger im Discolicht) sondern die Akteure selbst in den Mittelpunkt rückt. Toll, wie die drei das machen. Sie brauchen als Symbol nur noch eine überdimensionale Teddy-Puppe, die sie ersatzweise liebkosen können oder im Streit daran reißen. Drei Mal zieht sich Dörr um (Kostüme: Andrea Schraad), vom Hausfrauenschlampenlook über unpassende pinke modische Kleidung bis hin zu einem blauen geblümten Kleid.
Angekündigt war eine Tragikomödie, das Publikum feierte eine glänzend gemachte Komödie. Allerdings geht im komödiantischen Furor der politische Anspruch, den Franca Rame und Dorio Fo in ihren Stücken und in ihrem Spiel einlösten, verloren, das Lachen bleibt jedenfalls nicht im Halse stecken, sondern kommt pur daher.