Foto: Szene mit Leonardo Lee als Macbeth und Astrik Khanamiryan als Lady Macbeth. © Constanze Landt
Text:Roland H. Dippel, am 23. Oktober 2023
Das Coburger Globe eröffnet als Ausweichspielstätte im Stil des legendären Londoner Shakespeare-Theaters die Musiktheatersaison am Landestheater Coburg. Operndirektor Neil Barry Moss zieht dabei alle Bühnen-Register.
Es war der Musiktheater-Einstand im Globe Coburg, das dem legendären Londoner Shakespeare-Theater nachgebaut ist und dem Landestheater nun als Ersatz- und mittelfristige Hauptspielstätte dient. Dort, zwischen Güterbahnhof und Norma-Filiale in industriell-urbanem Ambiente, residieren während der Sanierung des klassizistischen Schmuckstücks am Schlossgarten alle Sparten des Landestheaters Coburg für mindestens sieben Jahre. Neu ist auch die Spartenleitung unter dem hier Regie führenden Operndirektor Neil Barry Moss.
Noch vor Premierenbeginn versprach Moss unter der Video-Installation von Marina Abramović‘ „The Onion“ viel Kulinarik in den Foyers und auf den Bühnen. An dieser Kulinarik will er auch das Publikum teilhaben lassen – und macht schon in seinem „Macbeth“ Ernst damit. Den Reigen mit drei – natürlich – Shakespeare-Premieren begann im Glas-Stahl-Holz-Bau Globe vor einer Woche das Schauspiel mit „Was Ihr wollt“. Das Ballett folgt später mit Prokofjews „Romeo und Julia“. Dazwischen prunkt das Musiktheater mit Verdis „Macbeth“.
Den neuen Klangraum austesten
Die Bühne liegt gut vor dem von Foyers ummäntelten Zuschauerraum. Eine Parkett-Tribüne und zwei Ränge erlauben die Fokussierung auf die sehr hohe, mittelgroße Bühne. Bei „Macbeth“ ist der Orchestergraben zur untersten Stufe gefahren. Nach einem vorsichtig ausagierten ersten Akt entzündet GMD Daniel Carter mit Hilfe der Lady-Sängerin dann sein glitzernd glühendes Verdi-Fest. Straff alles und elegant immer da, wo nötig. Macbeths Sterbeszene aus der ersten Fassung klingt fast wie frühes 20. Jahrhundert. Selten wird so deutlich, dass Verdis Schlusshymne eigentlich ein Tränenbach in Moll ist. Das alles klingt nach Höchstanspruch im Dienst am Werk. Bravo!
Von Schauerromantik bis Loriot-Komik
Herren im Kilt und der fränkische Dudelsack-Virtuose Gerhard Jupe als Pausen-Intermezzo bieten dazu eine Schottland-Vision: Die grüne Tafel mit Kreide und einem Kind, das schottische Stammbäume kritzelt, akklamiert schulische Vermittlungsfreudigkeit. Dazu Hexen mit Scherenhänden, Rauschebärte und mattgoldene Kronreifen sowie schauerromantische Ekstasen und Loriot-Momente: Neil Barry Moss zieht alle Register.
Am Schluss kommen die Populisten und mehrere Liter Theaterblut tränken die finale Parade der gemeuchelten Geister. Die im zweiten Teil recht klumpige Bühnenbild-Idee eines Riesenwürfels von Eugenia Leis führten die Werkstätten aus. Bei den Kostümen erweist sich Moss als genuiner Couturier-Star, der für Faltenwürfe und milchig-düstere Lichtwirkungen mehr Kunstneigungen zeigt als für ausgefeilte Personenregie.
Als Macbeth blickte Leonardo Lee geradeaus ins Publikum, findet dann nach erfolgter Abnabelung von der Lady zu viril-balsamischen Kraft-Kantilenen. Gustavo López Manzitti als Macduff mit Pausenmoderation über Tee contra Mate und elegisch-kehliger Arie ist Highlander Eins. Als Highlander Zwei fungiert Bartosz Araszkiewicz mit prachtvoller Stimme für Banco und im poetischen Todeswalzer mit der Lady. Über dem Sterbebett Duncans schwebt die Lady mit Magenta-Haaren und Dolch wie die leibhaftige Luziferin. Jaeil Kim gleicht als Malcolm die Kürze seines Parts mit prima Trompetentönen aus.
Fast drei Stunden leuchten überall schottische Karos – auf Kilts, Schleiern und sogar dem Business-Kostüm der Sopranistin Francesca Paratore als Dama di Lady. Chor und Extrachor wären unter der Leitung von Alice Lapasin Zorzit mindestens doppelt so gut gewesen, wären nicht die Hexen- und Sylphiden-Strophen derart verkürzt worden. Für die erkrankte Ana Naqe sprang Astrik Khanamiryan als Lady Macbeth ein – und gibt Verdis komplexer Extrempartie Artistik und rubinrote Abgründe. Riesenjubel!