Foto: Samuel Sakker als Tristan (links auf der Treppe), Jennifer Feinstein als Brangäne und Stéphanie Müther als Isolde © Matthias Jung
Text:Ulrike Kolter, am 23. Oktober 2023
Die Oper Wuppertal bebildert Richard Wagners „Tristan und Isolde: Videokünstler Martin Andersson zeigt großflächig Meereswogen und der junge GMD Patrick Hahn lässt es ebenso rauschen. Großer Jubel trotz statischer Personenregie – vor allem für die eingesprungene Stéphanie Müther als Isolde.
Hätte Wagner gewollt, dass man seine Opern häppchenweise konsumiert, die drei Aufzüge des „Tristan“ beispielsweise an drei Abenden sich einverleibt? Was im Sommer 2021 die Deutsche Oper am Rhein kammermusikalisch aufbereitet und pandemiebedingt tat, ermöglicht die Oper Wuppertal ihrem Publikum nun ganz regulär: „Wem die ca. 5h der Oper im Ganzen zu lang sind, kann die drei Akte an drei verschiedenen Abenden besuchen.“
Zur sonntäglichen Premiere nutzten das Angebot (noch?) wenige, doch man möchte in keiner Sängerhaut stecken und mitgrübeln: Ist der Schwund im Saal nun Vertriebsstrategie oder Unlust…? Von letzterer jedenfalls keine Spur bei Wagners schwermütigstem Werk: Wuppertal jubelte einhellig beim Schlussapplaus und Rebekah Rota scheint als neue Opernintendantin mit einem glücklichen Händchen gestartet zu sein.
Filmisches Bebildern des musikalischen Dramas
Und weil es bekanntlich nicht viel Handlung in Wagners „Handlung in drei Aufzügen“ über die Liebestragödie zwischen Irlands Königstochter und Cornwalls Vasallen gibt, setzt die Inszenierung ganz auf die Kraft musikalischen Erzählens. Und auf die sinnliche Illustration durch raumfüllende Videos von schäumenden Meereswogen und stürmischen Steilküsten. So ist Martin Andersson (Konzept und Regie Video) mindestens ebenbürtig zu nennen mit Edison Vigil, der die sparsame Personenregie verantwortet, während die Kostüme von Dorothee Joisten stattlich-zeitlos, nur nicht in allen Fällen vorteilhaft gelungen sind.
Samuel Sakker als Tristan und Stéphanie Müther als Isolde vorm schäumenden Meer. Foto: Matthias Jung
Sparsam doch raffiniert hingegen ist die Schiffkonstruktion für die Überfahrt nach Cornwall zu Beginn (Bühne: Lukas Noll): transparente, aus Holzleisten bestehende Dreiecke deuten den Schiffsrumpf an, hängende Netze bilden Segel, eine Treppe dient als Aussichtsturm. Von hier herab besingt ein Seemann sehnsüchtig das Meer (bezaubernd lyrisch und klar: Sangmin Jeon); Tristan und Isolde hingegen begegnen sich völlig unterkühlt und schnell wird klar: Mögen tun sich diese beiden mitnichten VOR Konsum des Liebestrankes. Eine interpretatorische Setzung, der man folgen kann.
Farnumwucherte Liebesnacht
Körpernähe bleibt auch im zweiten Aufzug spärlich und die Liebesnacht sittsam, wenn beide auf einem Podest sich nebeneinander betten, während dahinter dreidimensional buntgrüne Farne die Bühne bewuchern. Als König Markes Eintreffen den Ehebruch bezeugt, versinkt die ganze Pflanzentraumnachtwelt in einer riesigen Feuersbrunst und hinterlässt nichts als verbrannte Erde – großes Kino, das die Ausweglosigkeit beider phantastisch visualisiert.
Sittsame Liebesnacht: Stéphanie Müther als Isolde und Samuel Sakker als Tristan. Foto: Matthias Jung
Leidenschaft strömt in diesem „Tristan“ vor allem aus dem Graben: Zum „Motiv ungeduldiger Erwartung“ etwa peitscht der junge Generalmusikdirektor Patrick Hahn das formidable Sinfonieorchester Wuppertal derart übermütig vorwärts, das einem angst und bange wird. Doch nie zerfasert ihm sein zu Beginn moderates, später akzentuiertes Dirigat, das nur partiell zu sehr ins Fortissimo geht und es den Sänger:innen dann unnötig schwer macht…
Überzeugendes Solisten-Ensemble
Samuel Sakker als Tristan haushaltet entsprechend mit seiner Kraft, spart in den ersten beiden Aufzügen an Verzierungen, um im dritten umso mehr aufzutrumpfen mit seinen verzweiflungsnahen „O Treue! Hehre, holde Treue!“-Rufen. Erik Rousi gibt mit rundem, nicht allzu tiefem Bassbariton einen bemitleidenswerten König Marke, Jennifer Feinstein gestaltet ihre Brangäne mit flexiblem, bronzenem Mezzo, Martijn Sanders singt sich als Tristans treuer Kurwenal im Finale erst so richtig frei und mit Jason Lee als Melot kann das Wuppertaler Ensemble einen stattlichen Tenor aufweisen, von dem noch zu hören sein wird.
Stéphanie Müther war als Isolde erst zwei Tage vor der Premiere für die erkrankte Kirstin Sharpin eingesprungen – ein Glücksgriff, denn die aktuelle Brünnhilde im Dortmunder Konwitschny-„Ring“ gibt ihrer Isolde alle Facetten dramatischer Interpretation, ohne je zu forcieren. Und man versteht jede Silbe – keine Selbstverständlichkeit. Ob die Originalbesetzung mehr szenische Aktion bringt, wird in den kommenden Vorstellungen zu erleben sein. In jedem Fall ist dieser „Tristan“ eine bildstarke, auf hohem Niveau musizierte Wagner-Interpretation. Die man doch besser an EINEM Abend sich einverleiben sollte.