Foto: Auf Tuchfühlung mit dem Publikum? Das Bühnenbild ragt in die ersten Zuschauerreihen. © Dorit Gätjen
Text:Erik Zielke, am 22. Oktober 2023
Wojtek Klemm hat am Volkstheater Rostock William Shakespeares Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“ inszeniert, bietet aber mehr Klamotte als aufklärerische Kunst.
In Rostock sucht man nach dem Volkstheater. Nein, nein, nicht die so bezeichnete städtische Bühne, das Volkstheater Rostock, sondern die Kunst für das breite Publikum und nicht nur für eine elitäre Minderheit. Mit wem wäre einem da besser geholfen als mit dem Alten aus Stratford? William Shakespeare liefert uns noch immer den Stoff für ein Volkstheater der Gegenwart – mit kühnem Witz und kluger Dramaturgie, mit derben Tönen und abgründigen Wendungen, mit Spannung und Geist.
Zu Beginn dieses zweistündigen Theaterabends in Rostock wummern technoide Klänge, die Volksmusik unserer Tage, von der Bühne. Das neunköpfige Ensemble zeigt sich in beigen Ganzkörperanzügen – enthüllen sie die Identität der Spieler?, verbergen sie sie? – und gibt sich für einige Minuten rauschhaft-tanzend dem Sound hin.
Faber rezitiert
„Wenn denn Musik für Liebe Nahrung ist, / Spielt auf!“, heißt es in Shakespeares „Was ihr wollt“. Ein Satz, den der Regisseur Wojtek Klemm für seine Inszenierung dieses Stücks als programmatisch begreift. Immer wieder kehren die Schauspieler an diesem Abend, meist unter Ukulelen-Begleitung, zur Musik zurück. Insbesondere Lieder von Singer-Songwriter Faber werden von den Ensemblemitgliedern auf der Bühne gesungen. Die Textzeilen („Sag mir, wie du heißt, und ich sag dir, was du trinkst“, „Wem du’s heute kannst besorgen, dem besorgst du’s morgen auch“) können vielleicht gerade so mit der Shakespeare’schen Derbheit mithalten, aber es sind doch eher schlichte, in Musik gepackte Gedanken, die die voltenreiche Handlung unterbrechen.
Die Darsteller bespielen eine 23 Meter lange Rampe, knallorange, die vor den ersten Zuschauerreihen nicht Halt macht. Das Ensemble geht auf Tuchfühlung zum Publikum – und auch wieder nicht. Gespielt wird dann doch sehr brav hinter der vierten Wand. Die Steigung der Rampe nach hinten erschwert den Spielern die Wege. Aber auch diese Entscheidung bleibt merkwürdig inkonsequent, denn zu größeren szenografischen Herausforderungen, wie man sie etwa von einigen Arbeiten Michael Thalheimers kennt, kann man sich hier doch nicht durchringen. Das Bühnenbild, durchaus imposant, bleibt ein Fremdkörper in dieser Theaterarbeit, entkoppelt vom szenischen Geschehen.
Unerwiederte Liebe
Klemm konzentriert sich in seiner Inszenierung auf das Verwirrspiel der Geschlechter. Shakespeares komplexe Handlung, angelegt im fernen Illyrien, dreht sich bekanntlich um das Zwillingspaar Viola und Sebastian, von denen Erstere als Fremde im Land die Geschlechterrolle tauscht. Es ist ein Stück vom unglücklich verliebten Herzog Orsino, von saufenden Junkern und Dienern, die auf ihren Aufstieg warten, und von einem Narren mit traurig-klugem Witz. Herzog Orsinos Herz gehört dabei Olivia, die den Männern vorerst ganz entsagt. Niemand wird hier zurückgeliebt, nicht von demjenigen, von dem er es erhofft. Es ist eine vertrackte Situation, die sich erst einige Wendungen später glücklich-komisch auflösen kann.
Verwirrspiel der Geschlechter: Olivia (Luis Quintana) und Cesario (Joshua Walton). Foto: Dorit Gätjen
Joshua Walton spielt die Viola, die für die Mitspieler dann den Cesario gibt. Und auch die Oliva wird mit Luis Quintana von einem Mann dargestellt, während der Junker Bleichenwang (Katharina Paul) und Sebastian (sehr prägnant: Klara Eham) mit Frauen besetzt sind. Es scheint zunächst, als würde das Spiel um den „Gender Trouble“ der Shakespeare-Zeit auf die Spitze getrieben. Aber der Wechsel der Identitäten wird hier weder zum sinnlichen noch zum subversiv-politischen Akt, weil man sich aufs Klamottenhafte verlegt. Der Verweis auf Judith Butlers gut 30 Jahre altes Standardwerk „Das Unbehagen der Geschlechter“ nützt wenig, wenn das Unbehagen nicht spielerisch überwunden, sondern nur verlacht wird. Eine Kritik der Geschlechterverhältnisse auf der Höhe der Zeit, die ein Volkstheater durchaus leisten könnte, sähe anders aus. Die hat man einigen billigen Lachern über verrutschte Unterhosen geopfert.