Foto: Wunder (Lioba Kippe) mit Priester:innen und Chor © Thomas Rabsch
Text:Detlev Baur, am 21. Oktober 2023
Bonn Parks neues Musiktheater mit Ben Roessler ist ein Gottesdienst der Sorglosigkeit, der so ganz sorgenfrei doch nicht ist. Das Spiel zwischen Pathos und Ironie verbreitet beim Besuch im Düsseldorfer Schauspielhaus eine anregende Verwirrtheit.
„Keine Sorge! Sorg dich nicht! Sei unbesorgt! Wehe, du sorgst dich!“. So beginnt im Hintergrund der aufgeräumten, clean-weißen Bühne (Jana Wassong) im schwarz, golden, lilanen Ornat die Aufführung mit dem Chor – der 28-köpfige junge Kammerchor der Robert-Schumann-Hochschule. „Keine Sorge (Religion)“ von Bonn Park ist eine anderthalbstündige, ambivalente Feier der Zuversicht, im Gewand eines liturgisch durchgeformten Gottesdienstes. Außer dem Chor agieren vier Priester:innen in gleichzeitig strengen wie phantastischen Kostümen (Julia Nussbaumer, Ragna Hemmersbach). Sie feiern die zuversichtliche Sorglosigkeit im Wechselgesang mit dem Chor oder richten sich in predigt- oder gebetsähnlichen Reden ans Kirchenvolk im Parkett. Die einzige dramatische Entwicklung in diesem gewagten Format kommt durch das „Wunder“, ein aus einem großen hellblauen Osterei schlüpfendes menschliches Wesen; das ist zunächst der Hilfe durch die Gemeinschaft bedürftig, emanzipiert sich dann und entsteigt schließlich über eine kleine Leiter aus dem Ikea-Karton durch Rückfenster in den vermeintlichen Tod – den es zum Ende hin wieder verlässt.
Wunder, Priester:innen und Chor
Ganz am Ende – und ein Abschluss ist gerade im theologischen Kontext nicht eben leicht zu finden – wünscht die Figur lapidar: „Bis nächste Woche“. Lioba Kippe spielt das Wunder streng als eindimensionale Jederfrau und deutet in ihren humorfreien Statements über sich und die Welt auch immer eine ironische Distanz an. Ebenso die Priesterfiguren von Minna Wündrich, Jürgen Sarkiss, Caroline Cousin und Kilian Ponnert. Sie haben erkennbar Freude daran, das Publikum dieser Feier zwischen katholischer Liturgie und Bachscher Choralfeier – die Musik hat wieder einmal Ben Roessler kongenial auf Bonn Parks Text und Regie zugeschnitten – sowie anthroposophischer Zuversicht und sektiererischer Weltflucht mitzunehmen in eine Gemeinschaft, die alle Sorgen für nichtig erklärt; jede Handlung vom Aufbau des Altars bis zum Händewaschen wird rituell ausführlich zelebriert. Der Haken dieses sakralen Brimboriums ist, dass diese Gemeinschaft die Ahnungslosigkeit, die Komplexität des Lebens und die notwendige Todesfolge des Lebens auch erkennt, thematisiert und eben zu überwinden hofft.
Die Anleitung als heilige Schrift
Nicht nur erinnern die Seitenwände der zentralperspektivisch aufs Rückfenster hin ausgerichteten Bühne an Ikea-Kastensysteme, auch ist der immer wieder erwähnte zentrale Text der „Anleitung“ sichtbar an Ikea-Aufbauhilfen designt. Das ist aber auch schon die deutlichste Brechung dieses rituellen Theaters, von dem man nicht weiß, wie viel satirische Kritik, wie viel Abbildung alternativer Performance oder gar pathetisches Nacheifern von Gläubigen es eigentlich transportieren will. Auch der Kritiker bleibt ein wenig ratlos zurück in diesem konsequent durchgehaltenen Gottesdienst ohne Gott. Aber ist nicht genau das der Kern von „Keine Sorge (Religion)“?
Wie schon in der „Unterwasseroper“ am Münchner Volkstheater beeindruckt in jedem Fall der Mut, mit dem Park und sein Team individuelle und gesellschaftliche Probleme benennen, gleichzeitig negieren und damit in eine spielerische Spannung zueinander bringen. Das bedeutet eine auf deutschen Bühne eher ungewohnte Leichtigkeit, ohne jedoch eine ignorante, weltflüchtige Unterhaltungsmaschinerie aufzuziehen. Und gerade gegenwärtig ist das Predigen von Sorglosigkeit ein ziemlich spannendes Unterfangen.