Foto: Bettina Scheuritzel in "Der Garten der Lüste" © Annemone Taake
Text:Bettina Weber, am 14. Oktober 2023
Am Theater Aachen formt Regisseurin Antigone Akgün „Der Garten der Lüste“ von Fiston Mwanza Mujila zu einer Komödie mit bitteren Einsichten.
Es hagelt Erkenntnisse. Dabei erzählt Fiston Mwanza Mujila in seinem Stück „Der Garten der Lüste“ eigentlich nichts Neues über die Probleme der Festung Europa, um die es in seiner Parabel geht. Die Perfidität der territorialen Abschottung und die Verlogenheit hinter der Behauptung, alle Menschen seien gleich, die der Text zum Ausdruck bringt, sind längst bekannte, wenn auch gern verdrängte Tatsachen.
Himmel und Hölle
Dennoch ist Mujilas Stück entlarvend. Das hat unter anderem mit seiner Figurengestaltung zu tun: „Werner“, ein Europäer, träumt von einem neuen Garten Eden, in dem alle geltenden Gesetze der Zivilisation außer Gefecht gesetzt sind, alle biologischen Widersprüche vereint – Hieronymus Busch lässt grüßen. Eine „Kakophonie der Schönheit“ soll dieser Garten sein, Mensch und Tier im Einklang, Himmel und, wie sich später zeigen wird, Hölle. In dieser Figur des „Gärtners“ namens Werner vereinigen sich die Merkmale des größenwahnsinnigen Diktators genauso wie die des humanistischen, vielleicht sogar „woken“ Weltverbesserers. Hereinlassen möchte er niemanden, obschon die Menschen, der Verheißung folgend, von überall her auf den Garten zuströmen. Drei Assistenten gewährt er schließlich doch den Zutritt: Alphonse, Valentin und Rudi, drei Luftschloss-Bauarbeiter und allesamt auf ihre Weise mehr oder weniger obrigkeitshörige Kleingeister. Eine Wolken-Tapete, ein aufblasbarer Globus-Plastikball, ein Haufen Monobloc-Plastikstühle; vielmehr braucht die Ausstattung (Bühne & Kostüme: Vitalia Gordeeva) in der Kammer des Theaters Aachen für den Garten nicht. Alles andere ist Phantasie. Doch natürlich muss die schöne Utopie schließlich scheitern: Daran, dass niemand aus seiner Haut kann. Und daran, dass es eine universell gültige Idylle des Miteinanders nicht gibt. Auf die Frage, ob wir Europäer uns überhaupt aus unserer eurozentristischen Sicht lösen können, scheint es an diesem Abend keine positive Antwort zu geben.
Poetische Komödie
Der Text von Fiston Mwanza Mujila – der als Autor in der Inszenierung sogar kurz per Videoeinspielung auftritt – ist sprachlich hochgradig poetisch. Entstanden ist er 2021 als Auftragsarbeit für die Frankfurter Positionen in Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin. Regisseurin Antigone Akgün und ihr Team füllen diese durchaus herausfordernde Sprache auf zupackende Weise mit Leben: Humoristisch wird mit Formen der Übertreibung hantiert, reden die Darsteller:innen rasend schnell oder spielen in stummer Zeitlupe. In jedem Fall aber treiben sie den entlarvenden Habitus des Stücks weiter voran. Die Lesart gibt die Figuren und damit letztlich auch uns Europäer der Lächerlichkeit preis: Wie können wir nur glauben, immer zu wissen, wie es besser geht? How dare we? Und wie können wir nur annehmen, dass ein Teil dieser Figuren nicht auch in uns steckt? Dem Publikum, das sich bei der Premiere lautstark amüsiert hat, dürfte in vielen Szenen jedoch das Lachen im Halse stecken bleiben; etwa, wenn die Melodie der Europahymne auf das traurigerweise berühmt gewordene Bild des toten, kleinen, an die türkische Küste gespülten Kindes gezeigt wird, das für immer unerträglich bleibt.
Diese Inszenierung hat viel Überzeugendes: Sie ist schmissig und spannungserhaltend, ideenreich und kritisch-reflexiv: Sollte man lachen oder weinen, wenn Bettina Scheuritzel (Werner) die Treppe zur Bühne herunterläuft wie Donald Trump zu seinem Redepult? Oder wenn Petya Alabozova (Rudi) und Nola Friedrich (Valentin) eine Szene aus Charlie Chaplins „Der große Diktator“ nachspielen? Eine Frage bleibt allerdings unbeantwortet: Muss man dieses Stück wirklich ausschließlich mit Frauen besetzen, so genüsslich und einnehmend die vier Darsteller:innen ihre Rollen auch spielen? Dient diese Besetzungsentscheidung wirklich dem Erkenntnisgewinn des Stücks, das zwar mit Klischees von Männlichkeit spielt, jedoch um Geschlechterfragen kaum kreist? Oder wird sie nicht am Ende zum Selbstzweck? Entscheidend ist hier weniger der weibliche Blick auf eine stark von Männern geprägte Welt. Schwerer wiegt die Erkenntnis, dass wir transkulturellen Theaterarbeiten in der deutschen Theaterszene bedauerlicherweise nach wie vor eher wenig Raum geben. How dare we?