Foto: Ensembleszene © Susanne Reichardt
Text:Manfred Jahnke, am 12. Oktober 2023
Am Theater Heidelberg zeigt Regisseur Stephan Kimmig die Binnensicht auf die inhaftierten Revolutionäre von Büchners „Dantons Tod”. Es wird viel geschrien, denn im Fokus aller Beteiligten steht die Angst vor dem Tod.
Lässt sich „Dantons Tod“ von Büchner als Beitrag zur gegenwärtigen Opportunismus-Debatte in der Bundesrepublik lesen? Wir sehen im Text die Drahtzieher, wie sie die Volksmeinung manipulieren. Sie agieren nicht nach des Volkes Zorn, sondern sie wecken erst diesen Zorn durch falsche Behauptungen. Das nimmt Stephan Kimmig in seiner Inszenierung am Theater Heidelberg als Voraussetzung. Er erzählt, wie Gerüchte von Personen gestreut werden, aber diese selbst gar nicht mehr in Erscheinung treten müssen. So hat der Robespierre des Jonah Moritz Quast gar nicht anderes zu tun, als erst im schwarzen, dann im weißen Anzug (Kostüme: Annabelle Gotha) auf der Bühne mit den Händen in den Hosentaschen herumzutänzeln. Die Bürokraten wie der Herrmann des Marco Albrecht erledigen das schmutzige Geschäft. Sie brauchen keine Rechtfertigung, sie handeln im vorausschauenden Kotau. Perfekter Bürokratismus.
Im Fokus: die Binnensicht der Revolutionäre
Stephan Kimmig greift in den Text ein: Die Ereignisse, die bei Büchner nur wenige Tage umfassen, vom 24.3. bis zum 5.4.1794, werden aus ihrer Historizität entbunden. Volksszenen, die in jedem der vier Akte auftauchen, sind weitgehend zusammengestrichen. Vielmehr interessiert den Regisseur die Binnensicht auf die inhaftierten Revolutionäre, die mehr oder weniger schreiend ihre Situation zu reflektieren versuchen. Ruhender Pol ist dabei Danton, der in dieser Inszenierung auf eine überzeugende Weise von Antonia Labs gespielt wird. Im Geschrei der anderen wirken ihre Sätze, in denen sie den nahenden Tod für sich akzeptiert, existentiell.
Labs spielt das großartig und im ersten Teil auch mit den Gesten eines Entertainers aus. Allerdings gehen die Sprach-Spiele von Büchner mit den Metaphern von Tod und Liebe verloren. Die „Liebe“ ist in dieser Inszenierung nicht gestrichen – das lässt auch der Text von Büchner nur schwer zu –, aber auf existentialistische Beziehungen hin reduziert: Es gibt zwischen diesen Menschen nur um Eines: die Angst vor dem Tod. Wozu auch gehört, dass im ersten Teil, wenn die Revolutionäre noch in Freiheit sind, eine Stimmung wie der Tanz auf einem Vulkan entsteht.
Ein schreiend bitterer Befund
Schon das Bühnenbild von Katja Haß, die vor hohen Betonwänden ein hohes Gerüst gebaut hat, eine Art Laufsteg, verdeutlicht, dass es Kimmig nicht um historische Genauigkeit geht, sondern um die Ausstellung von Haltungen. Scheinbar endlos werden existentielle und politische Fragen debattiert. Während es im ersten Teil vor der Pause an Orientierung fehlt, weil die Figurenzuschreibungen schwer durchschaubar sind, ändert sich das nach der Pause entscheidend. Da geht die Mauer nach hinten hoch und öffnet den Blick auf einen gefängnishaft gestalteten Gang, so dass eine klare Situation geschaffen ist. Aber auch die Figurenführung wird klarer, nicht nur durch den furiosen Auftritt von St. Just ganz in Weiß, der Farbe der Unschuld. Esra Schreier macht daraus eine grandiose Nummer. Wie auch Daniel Friedl als Hérault, der mit starker Präsenz diese Figur als Mittler zwischen den schreienden Parteien von Camille (André Kuntze) oder Lacroix (Steffen Gangloff) oder Philippeau (Friedrich Witte) oder Leon Maria Spiegelberg als Jules spielt.
Danton und St. Just werden von Frauen dargestellt, aber die Frauenrollen des Stücks sitzen wahrlich am Rande, wie die Marion der Lisa Förster oder die Lucile der Esra Schreier. Die Menschen um Danton schreien ständig ihre Angst und ihre Argumente heraus, die manchmal mit gewaltigen Tönen und dröhnender Musik (Musik und Sounddesign: Manuel Thielen) zum Verstummen gebracht werden. In der Zeitlosigkeit des szenischen Ambiente wird deutlich: Wo Angst regiert, muss die Vernunft sterben. Ein bitterer Befund über unsere Gegenwart.