Hausherr und Regisseur Markus Dietze schildert am Theater Koblenz, wie der Kaiser eine der vornehmsten Herrschertugenden – eben die clementia – durch Meisterung seines Zornes bewährt. Titus reißt sich zusammen. Den hemmungslos ausgelebten Leidenschaften seiner Feinde setzt er die vollendete Sublimation und Kontrolle über seine Affekte entgegen.
Oper über einen klugen Machtmenschen
Dietze widerlegt das Klischee vom Imperator als empfindsamem Waschlappen, dessen sentimentale Wallungen sich von den Herrscherpflichten entkoppelt haben. Titus bleibt auf der Koblenzer Bühne Machtmensch. Nicht Gefühlsduselei leitet den Herrscher, sondern rationales Kalkül. Milde gilt ihm als probates Mittel zur Deeskalation einer für ihn – wenn das Kapitol in Flammen steht – im wahrsten Wortsinn brandgefährlichen Lage. Politisch motiviertes Handeln wie den kaiserlichen Gnadenerweis als puren Ausfluss menschlicher Empfindsamkeit zu camouflieren, bedeutet die Hohe Schule höfischer Staatsklugheit. Die freilich limitiert und keineswegs alternativlos ist.
Immerhin muss Sesto eine Scheinhinrichtung über sich ergehen lassen. Unter solchem Vorzeichen nachvollziehbar, unterstellt Dietze dem Kaiser eine ganz andere Seite: Final wird Vitellia verhaftet und einem ungewissen, aber sicher keineswegs erfreulichen Schicksal zugeführt. Bühnenbildnerin Dorit Lievenbrück umgibt für Haupt- und Staatsaktionen, kaiserliches Raisonnement und Kabalen einen Konferenztisch, der dem Ratssaal jeder Kleinstadt Ehre machen würde, mit Stellwänden. Von einstiger Römerattitüde und imperialer Pracht geblieben ist lediglich Cesare Maccaris historistisches Monumentalgemälde, auf dem Cicero im Senat den korrupten Catilina anklagt. Bernhard Hülfenhaus steckt die Personnage in heutige spießig-konventionelle Kleider und Anzüge wie von der Stange.
Theater Koblenz überzeugt auch musikalisch
Musikalisch ereignet sich ganz Erstaunliches: Lorenz Höß und Karsten Huschke inspirieren den Chor des Hauses zu majestätischer Strahlkraft. Marcus Merkel und das Staatsorchester Rheinische Philharmonie arbeiten sich rasch zur Synthese aus dramatischer Verve und Schönheit vor. Mit den für das volle Orchester komponierten Rezitativen Manfred Trojahns aus dem Jahr 2002 gewinnen Merkel und „sein“ Klangkörper der Oper von Mozart eine zusätzliche Dimension.
Überzeugend verkörpert Tobias Haaks einen Titus jenseits üblicher Rollenauffassungen. Was den im Heldenfach beheimateten Tenor an mozartscher Schmiegsamkeit abgeht, wiegt er durch vokale Virilität und Durchsetzungsfähigkeit auf. Vernehmlich räumt Haaks den machtorientierten und den empfindsam mitfühlenden Anteilen der Titelfigur mindestens Gleichrangigkeit ein. Danielle Rohr vereint vokale Emphase mit der seelischen Zerrissenheit Sestos. Selbst in der Attacke bezwingend silbrig tönt Mirella Hagens Vitellia. Haruna Yamazaki gibt einen lyrischen Annio, der unbedingt aufhorchen lässt. Jongmin Lim ist ein martialischer Publio. Als Servilia nimmt Hana Lee für sich ein.