Foto: Surreale Bilder à la David Lynch: Antje Trautmann und Ensemble © Silke Winkler
Text:Erik Zielke, am 7. Oktober 2023
Alice Buddeberg hat Tove Ditlevsens autofiktionalen Roman „Gesichter“ auf die Bühne des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin gebracht – und bleibt nah an der beeindruckenden literarischen Vorlage, die die menschlichen Abgründe auslotet.
Ist von Tove Ditlevsen die Rede, sprechen nicht wenige mit begeistertem Ausdruck von einer literarischen Entdeckung. Die anhaltende Konjunktur des Autofiktionalen in der Prosa hat den Blick auf die dänische Schriftstellerin gelenkt. Ditlevsen hat zunächst mit Lyrik auf sich aufmerksam gemacht. Ehe sie ihre Biografie über das Elternhaus, das Arbeitermilieu, ja das eigene Ich schlechthin mit all seinen Abgründen schreibend bearbeitet. Ihre sogenannte Kopenhagen-Trilogie hat in ihrer deutschen Übersetzung vor zwei Jahren auch hierzulande einen verspäteten Erfolg gefeiert.
Zweifel am Lebensentwurf
Nun hat die Regisseurin Alice Buddeberg Ditlevsens Roman „Gesichter“ für das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin auf die Bühne gebracht. Lise Mundus, wie die Erzählerin und das Alter Ego der Autorin heißt, hört Stimmen, sieht die titelgebenden Gesichter. Gesichter, die sich immerfort verändern; Gesichter, die nicht da sind. Es ist ein schwer zu fassender Fall: Die Geliebte ihres Mannes hat Suizid begangen. Wie soll sie damit umgehen? Und erwartet sie nicht vielleicht dasselbe Schicksal? In „Gesichter“ verdichten sich die künstlerischen Zweifel der Protagonistin, gepaart mit der fundamentalen Infragestellung des eigenen Lebensentwurfs. Sie werden zu einer vielschichtigen und schonungslosen Auseinandersetzung mit sich selbst, bei der die Grenzen der Realität verschwimmen.
Dem Blick der anderen ausgesetzt: Antje Trautmann als Lise Mundus. Foto: Silke Winkler
Nein, eine im eigentlichen Sinn dramatische Handlung hält „Gesichter“ nicht bereit. Und so ist Buddebergs Bühnenadaption in einer Fassung von ihr und ihrem Dramaturgen Philip Klose auch eher als installative Arbeit zu betrachten. Auf karger Bühne (Ausstattung: Cora Saller) zeigt Antje Trautmann in der Hauptrolle mit versiertem psychologischem Spiel ihr ganzes darstellerisches Können, verdeutlicht feinfühlig die Drastik eines tragischen Schicksals und spart das Komische dennoch nicht aus. Ein fünfköpfiges Ensemble übernimmt dabei die Rollen der Anderen, der eingebildeten und realen Begegnungen von Mundus. Da ist ihr Mann, den sie liebt und nicht liebt. Dann die Haushälterin, die sie verachtet und die sie braucht. ihre Freundin, der sie vertraut und von der sie sich verraten fühlt, der Arzt, von dem sie Hilfe erwartet und Feindschaft fürchtet. Buddeberg erweist sich als dankbare Vermittlerin eines literarischen Werks, sie hält sich inszenatorisch zurück und gibt der Sprache des Romans auf der Bühne ausreichend Raum.
Vielseitig erzeugte Bilder
„Die Stille hält an.“ So lautet der erste Satz, der an diesem knapp eineinhalbstündigen Bühnenabend in der M*Halle. Tatsächlich handelt es sich um eine Inszenierung der leisen Töne. Die Bilder erweitern – einige mehr, andere weniger originell – Ditlevsens Roman sinnlich. Teils sind es bedrückende, naturalistisch in Szene gesetzte Miniaturen im 60er-Jahre-Interieur. Mal finden wir uns in surrealen Bildern à la David Lynch wieder, etwa wenn uns die Schauspieler mit Eselsmasken versehen begegnen.
In einer Szene nutzt Marko Dyrlich in der Rolle von Mundus‘ Mann Gert Theodor W. Adornos „Minima Moralia“ in der vertrauten Suhrkamp-Ausgabe als Aschenbecher. Ein reichlich plakatives Bild? Mag sein. Und doch liefert uns diese Schweriner Inszenierung ein plastisches Bild von der Unmöglichkeit, ein richtiges Leben im falschen zu führen. Dieser Abend liefert uns im besten Sinn „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, wie Adornos Opus im Untertitel heißt.