Foto: „Die Zukünftige", v. li.: Larissa Voulgarelis, Eddie Irle, Antoinette Ullrich und Maria Munkert © Maximilian Borchardt
Text:Volker Oesterreich, am 6. Oktober 2023
Es steckt vieles drin, aber nicht alles mit Sinn. Svenja Viola Bungartens dystopische Familienkatastrophe „Die Zukünftige“, die jetzt im Studio des Nationaltheaters Mannheim von Theresa Thomasberger uraufgeführt wurde, ist auf verwirrende Weise durchgeknallt.
Zeitgeistthemen wie die immer näher rückende Klimakatastrophe oder die Aufhebung der Gender-Identitäten werden mit surrealen Märchenmotiven verquickt. Dabei drückt die Regisseurin auf die René-Pollesch-Tube und lässt ihr sechsköpfiges Ensemble den kunsthandwerklichen Wortschwall immer einen Tick zu schnell und ein Kiekser zu hoch aus den Kehlen schallen. Man würde sich am liebsten auf dem Zuschauersitz anschnallen, um während der 75-minütigen Crash-Kurs-Raserei nicht aus der Kurve zu fliegen.
Willkommen also auf diesem Jahrmarkt der schaurig-schönen Schrecknisse, die in der nahen Zukunft spielen. Eine Zahnarzt-Familie rutscht ins Prekariat ab und fackelt wegen unbezahlbarer Hypotheken zum Zweck des Versicherungsbetrugs die eigene Hütte ab. Das Eheleben geht vor die Hunde – und die Zwillingskinder begeben sich ebenfalls auf getrennte Wege, mal bei diesem, später bei dem anderen Elternteil. Da die Sonne wegen der Klimakrise sengt, haben die Teenie-Zwillinge meistens hitzefrei. Das eine Zwillingskind wird trotz des warnenden elterlichen Vorbilds Ärztin, das andere Kellnerin.
Ade heile Welt
Doch wer ist jetzt eigentlich wer? Das weiß man ob des häufigen Rollentauschs und des einheitlichen Outfits nie so ganz genau. Aber darauf kommt es auch nicht an. Denn es geht um Stimmungen und Stimmen, nicht um klar abgegrenzte Identitäten, die sind in der „Zukünftigen“ eh von gestern. Deshalb präsentieren sich die Ensemblemitglieder Almut Henkel, Eddie Irle, Boris Koneczny, Maria Munkert, Antoinette Ullrich und Larissa Voulgarelis allesamt langbezopft und uniform: Über dem eng anliegenden, grob karierten Dress tragen sie einen pinkfarbenen Plastik-Harnisch am Oberkörper, darunter ein entweder schwarzes oder weißes Schürzchen, das beim Rollenwechsel auch mal getauscht werden kann.
Bei der Ausstattung dieser Kunstwelt hat sich Mirjam Schaal womöglich ein wenig vom derzeit gehypten „Barbie“-Blockbuster inspirieren lassen – zumindest bei der Farbgebung der Harnische und der Dachziegel der in Schieflage geratenen Hexenhütten-Villa. Allerdings geht es auf der Bühne sehr viel abgründiger und düsterer zu als in Barbies bonbonbuntem Kino-Biotop. Ade heile Welt, hinein in den Horror, der auch mit Andeutungen auf dieses oder jenes Schauermärchen hervorgekitzelt wird.
Monströses mit Märchenhaftem
In dieser Hinsicht bleibt sich Svenja Viola Bungarten treu. Schon in ihrem Internats- und Vergewaltigungs-Grusical „Maria Magda“, für das sie 2021 den Hauptpreis des Heidelberger Stückemarkts ergattern konnte, verknüpfte die Autorin den Horror mit der Komik und das Monströse mit dem Märchenhaften.
Als „Climate-Fiction“ oder „Präventionsmärchen“ wird die schon 2019 entstandene, aber fürs Nationaltheater nochmals komplett überarbeitete „Zukünftige“ auf dem Programmzettel bezeichnet. Man könnte auch sagen, dass in diesem Stück die Letzte Generation in einem Albtraum versinkt. Das Hexenhaus auf der Bühne könnte aus „Hänsel und Gretel“ stammen, und das Ensemble sieht aus wie das sechsfache (nicht das doppelte) Lottchen. Auch die Goldmarie oder Frau Holle geistern ganz kurz durchs Geschehen – nicht als Handlungsträger, sondern als Verweise auf Schrecknisse im kollektiven Unterbewusstsein. Viele Kopfnüsse also, die hier ausgeteilt werden. Das Premierenpublikum ist willens, sie zu knacken und bekräftigt dies mit lautstarker Handgymnastik.