Szene aus "Mascha K." am Schauspiel Frankfurt

Lebenslang auf Durchreise

Anja Hilling: Mascha K. (Tourist Status)

Theater:Schauspiel Frankfurt, Premiere:22.09.2023 (UA)Regie:Christina Bona Maria TscharyiskiKomponist(in):Thorsten Drücker

Mascha Kaléko musste immer mit ihren Lebensumständen kämpfen, doch ihre Verse begleiten Menschen bis heute. Anja Hilling erzählt aus dem Leben der Dichterin in ihrem Stück „Mascha K. (Tourist Status). Mit überraschend viel tänzerischen Elementen fand die Uraufführung nun am Schauspiel Frankfurt statt.

Während der 20er-Jahre und bis zur Machtergreifung der braunen Bande galt sie als Ikone neusachlicher Großstatdtlyrik: Mascha Kaléko zählte zur im Berliner Romanischen Café anzutreffenden Avantgarde-Prominenz. Die Ehe mit dem Musikforscher Chemjo Vinaver zehrte an ihrer dichterischen Schaffenskraft. Der Gatte dokumentierte die Musik der Synagogen, Kaléko stemmte den Haushalt und sorgte im New Yorker Exil durch Brotarbeit bis hin zur Werbetexterei für den Unterhalt von Mann und Kind.

Berlin und New York bezeichnen zwei Stationen einer migrantischen Biografie, die Kaléko als auf der Flucht vor Pogromen aus der Welt des galizischen Judentums nach Deutschland – und hier für kurze Zeit zunächst nach Frankfurt – führte. Im letzten Augenblick entronn sie dem nationalsozialistischen Rassenwahn in die USA. Sie starb in Israel, wo ihr Mann sich heimisch und wissenschaftlich inspiriert fühlte, sie aber bis ans Lebensende fremdelte. Nie ließ sich Kaléko dort einbürgern, immer behielt sie den Aufenthaltstitel einer bloßen Besucherin bei.

Eine Frau Frau in einem weinroten Kleid klammert sich an einem Mann, der sie hält. im Hintergrund zwei weitere Personen.

Das Leben von Mascha Kaléko wird am Schauspiel Frankfurt nacherzählt. Foto: Felix Grünschloß

Verdreifachte Kaléko

Eben dies bewog Anja Hilling zum Untertitel „Tourist Status“ für ihr Stück über Kaléko, das nun am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt wurde. Hilling begreift das Leben Kalékos in gleich doppelter Hinsicht als repräsentativ: zunächst als Biografie einer Migrantin beinahe von der Wiege und ganz gewiss bis zur Bahre, dann als Geschichte einer Frau, deren Gatte sich bar jeder Solidarität mit dem Schaffen der Dichterin als Wissenschaftler profiliert.

Die Dramatikerin schifft dabei scharfsinnig navigierend zwischen der Skylla des Dokumentarstücks und der Charybdis des Ehedramas hindurch. Zwar zeigen sich die Lebensstationen klar voneinander abgesetzt und die eheliche Malaise erodiert Kalékos literarisches Schaffen. Dennoch wirkt in der Dichterin eine letztlich unbezähmbare lyrische Energie. Selbst dann, wenn Kaléko den letalen Magenkrebs poetisiert. Der Tod bleibt Stachel, aber die Dichtung hat das letzte Wort.

Für das, was in der Lyrikerin bis zuletzt an menschenfreundlich-nüchterner Poesie pulst, reicht eine Figuration nicht aus. Hilling lässt die Dichterin dreifaltig daherkommen. Jeweils eine ihrer Verkörperungen dominiert den jeweiligen Lebensabschnitt, doch die anderen beiden spielen immer auch hinein. Hillings eigene zugleich wortmächtige und sachliche Beredsamkeit verbindet sich dabei mit Kalékos Idiom wie zu einem aus zwei Bändern unterschiedlicher Farben geflochtenen Seil.

Drei Frauen in magenta-farbenen Hosen und weißen Blusen stehen wie gestaffelt auf Stufen.

Das Stück „Mascha K.“ spielt mit Perspektiven. Foto: Felix Grünschloß

 

Tanzende Sprache bei Frankfurter Uraufführung

Regisseurin Christina Tscharyiski sympathisiert in nuce mit dem Kaléko-Terzett. Mögen die männlichen Rollenerwartungen dem weiblichen Genie zusetzen, gibt es da einen unverbrüchlichen Wesenskern, der die dreifaltige Titelfigur ermutigt, sich wiederholt auf ihre Berufung zur Poetin zu besinnen. Wo immer dies gelingt, geschieht es geradezu tänzerisch, so dass Tscharyiski die Geschehen oft durchchoreografiert. Sensibel reagiert so die Spielleiterin auf die der Sprache Kalékos wie auch Hillings innewohnende Musikalität.

Ausstatterin Devin McDonough staffelt perspektivisch verkleinerte Portalrahmen hintereinander. Durch Projektionen und Requisiten verwandelt sich der eher unspezifische Schauplatz ins schrill-amerikanische Innendesign. Kostümbildnerin Miriam Draxl steckt die Kaléko-Dreifaltigkeit in mondäne samtig-saloppe Hosenanzüge. Die New Yorker Bekannten der Dichterin sind Karikaturen exzentrischer amerikanischer Selbstdarstellung. Lotte Schubert, Melanie Straub und Anna Kubin agieren als Kaléko-Terzett. Schubert streicht die Avantgardistin und Liebende heraus. Straub nimmt durch ihre Position als Ernährerin von Ehemann und Kind für sich ein. Kubin berührt durch die Zwiesprache mit der tödlichen Krankheit. Chemjo Vinaver geht bei Sebastian Reiß wie selbstverständlich davon aus, dass die Dichterin hinter seinen eigenen Ambitionen zurückstehen muss.