Foto: Ensembleszene © SF/Monika Rittershaus
Text:Joachim Lange, am 14. August 2023
Simon Stone inszeniert bei den Salzburger Festspielen spartanisch und dennoch eindrücklich die „The Greek Passion” des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů. Dass hier eine Gruppe von Flüchtlingen die Dorf-Passionsspiel-Idylle stört, ist mehr als zeitgemäßer Stoff.
Am Ende prangt der Schriftzug „REFUGEES OUT!” an der Rückwand der schlicht verkleideten Bühne der Felsenreitschule. Die gibt nur die oberste Reihe der Arkaden frei. Und die Flüchtlinge in diesem Stück verlassen tatsächlich das Dorf, in dem sie Aufnahme gesucht haben, und damit die Bühne über den Zuschauerraum. Sie sind entsetzt über das, was sie hier gerade miterlebt haben. Auch die Bewohner des griechischen Dorfes, die sie vertrieben haben, verlassen jetzt die Bühne. Von denen ist zumindest ein Teil verstört darüber, was das Zusammentreffen mit den Fremden in ihnen freigesetzt hat. Ob sie wirklich etwas über sich selbst gelernt haben, bleibt offen.
Ein Passionsspiel in Griechenland
In der Geschichte, die der tschechische Komponist Bohuslav Martinů (1890-1959) selbst nach dem Roman „Christus wird wiedergekreuzigt (Griechische Passion)“ von Nikos Kazantzakis zum Libretto geformt hat, bereitet sich ein griechisches Dorf auf Ostern und ein alle sieben Jahre anstehendes Passionsspiel vor. Ein mediterranes Oberammergau sozusagen. Der Priester Grigorios gibt bekannt, wer in dem bevorstehenden Passionsspiel welche Rolle übernehmen soll. Er kommentiert diese Rollenvergabe mit diversen Verhaltensmaßregeln. Der Kaffeehausbesitzer Kostandis spielt Jakobus, der Händler Yannakos den Petrus, der Grundbesitzerssohn Michelis den Johannes. Als pikante Anspielung auf ihren Ruf bekommt Katerina die Rolle der Maria Magdalena. Panais rebelliert gegen seine Nominierung als Judas. Während sich Manolios zunächst für nicht würdig hält, den Jesus zu spielen.
In dieses vorösterliche Dorfritual, mit der der Priester seine Macht demonstriert, bricht plötzlich die Realität ein und stellt das deklarierte Christentum auf die Probe. Es ist wie im griechischen Alltag von heute: Eine Gruppe von Flüchtlingen, die mit Sack und Pack aus ihrer Heimat vertrieben wurden, bittet um Aufnahme. Es sind auch Christen, die von ihren Priestern angeführt werden. Sie bitten im Namen ihres gemeinsamen Glaubens sogar um Land, damit sie neue Wurzeln schlagen können.
Was als Ritual beginnt, landet plötzlich mitten in heutigen Diskursen: Wie weit geht die Bereitschaft, einem nach außen hin deklarierten Christentum die entsprechenden Taten, sprich das unumgängliche Teilen folgen zu lassen? Im Laufe des packenden Abends geht die Mehrheit der Dorfbevölkerung auf eine aggressive Abwehrhaltung gegenüber den Fremden. Als eine der Frauen vor Hunger stirbt, hat der Priester schnell die These parat, dass dies Cholera und wohl eine Strafe Gottes sei. Ein aufgestachelter Mob zerstört die bescheidenen Zelte. Nur ein paar Aufrechte helfen. Mit dem Verweis auf einen Platz, an dem es Wasser gibt, mit lebenden Tieren.
Das Versagen der Dorfgesellschaft
Packend ist, dass sich der Jesus-Darsteller und die der Apostel mehr und mehr mit ihren Rollen identifizieren, entsprechend handeln und sich damit selbst zu Außenseitern machen. Die Kleinbürgergesellschaft versagt und der Priester ist der Schlimmste von allen ist. Wie für den Heiland der Christen geht die Sache auch für seinen Wiedergänger auf dem Lande böse aus. Der Pope sieht seine Macht durch den Verkünder einer eigenen Wahrheit bedroht. Er exkommuniziert ihn nicht nur, sondern ist auch dafür verantwortlich, dass ein aufgestachelter Mob Manolius umbringt. Er stirbt in einer Blutlache und mit dem Kopf im Schoss von Katerina, sprich Maria Magdalena.
Es ist nicht nur eine großformatige Musik des hohen Tones, die Martinů dafür geschrieben hat, sondern auch eine für große Stimmen. Keine ambitionierte Neutönerei, sondern eine eindrucksvolle Attacke auf die Herzen der Zuhörer. Maxime Pascal, der als der neuen Musik zugewandt gilt, führt die Wiener Philharmoniker zu einer imponierend geschlossenen, den Raum füllenden und packend suggestiven Klangentfaltung. Sogar mit Glocken, die in zwei der verdeckten Arkaden postiert sind und zum Vorschein kommen, wenn sie geläutet werden.
Großartiges Solistenensemble
Das Solistenensemble in „The Greek Passion” ist handverlesen und durchweg auf Festspielniveau. Gleichwohl ragt Sara Jakubiak mit ihrer Präsenz und ihrer voll strahlenden Leuchtkraft als Katerina heraus. Sebastian Kohlhepp läuft zur Hochform als Jesusdarsteller Manolios auf, wenn er vor seiner Ermordung öffentlich seine eigenen Zweifel und Umwege zu dem für ihn rechten Glauben bekennt. Aber auch Charles Workman als Yannakos und Gabor Bretz als Priester Grigoris überzeugen mit ihren Rollenporträts wie auch das gesamte Protagonisten-Ensemble und die von Huw Rhys James einstudierten Choristen der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.
Bleibt die Regie von Simon Stone, die auch mit dem überzeugt, was sie alles nicht macht. Die Bühne von Lizzie Clachan verzichtet auf nahezu jegliche realistische Dorfanmutung. Es ist ein abstrakter, also exemplarischer Raum. Die Schriftzüge am Ende sind ein Menetekel des Jahrhunderts – von der Entstehung der Oper bis zur Gegenwart. Die Dorfbewohner hat Mel Page in ein Einheitspastell gekleidet, die Flüchtlinge in ein Zivil von heute, die Schwimmwesten und die mitgeschleppten Utensilien sind der einzige Verweis auf unsere unmittelbare Flüchtlingskatastrophe. Ansonsten kein Video, keine gehissten Agitationsfähnchen. Stone dringt mit dieser Art Zurückhaltung und Konzentration aufs Wesentliche zu unseren Gefühlen und unserem Verstand vor. Ein kurzes Zögern der Betroffenheit, ehe der unisono Beifall in stehende Ovationen übergeht.