Der Kult um das Musical
Auch in Koblenz, wo das Theater auf die Festung Ehrenbreitstein zwischen ehrwürdigen Mauern gezogen ist, beherrscht der Kultcharakter die Aufführung: Nicht nur zeigen sich im Publikum Zuschauer in Kostümen aus dem Musical, sondern das Theater verkauft beim Einlass auch ein Fanbag. Darin ist eine Dose mit Seifenschaum, um Blasen aufsteigen zu lassen, die zugleich zu Beginn bei der Hochzeit, bei der Janet den Brautstrauß auffängt, eingesetzt werden. Oder mit einer Wasserpistole, die man gleich füllen lassen kann, für den Regen und dazu eine Zeitungsseite, mit der man sich vor allzu eifrigen Spritzern schützen kann. Um Spaß zu haben, gehört weiterhin ein Partyhütchen, Bierdeckel als Reis oder als Toastscheiben und ein pinker Gummihandschuh zur Ausrüstung. Das Publikum nutzt dieses Werkzeug ausgiebig, jubelt und singt Nummern wie „Touch me“ lauthals mit oder bewegt sich im Rhythmus zur Choreografie von Luches Huddleston jr.
In ihrer Regie setzt Anja Nicklich nicht allein auf die Teilhabe des Publikums, obschon sie das Ensemble in den Kostümen auftreten lässt, die die Figuren im Film getragen haben. Mehr noch: Sie übernimmt die „kultischen“ Figurencharakteristiken. Da tritt Christof Maria Kaiser als Riff-Raff ebenso mit einem Buckel auf wie Richard O’Brien in der Vorlage, oder Adrian Becker als Dr. Frank’n’Furter in gleichem Outfit wie Tim Curry im Film. Das Publikum genießt sichtlich das Wiedererkennen. Gleichwohl gibt es in der Inszenierung feine Differenzierungen: Auch wenn Becker diese Figur ebenso lasziv wie aasig-verspielt vorführt, so werden deren Verletzlichkeiten viel stärker spürbar. Ein Forscher in Sachen Lust, der menschlichen Erfahrungen wie Eifersucht verfällt und deshalb von Riff-Raff per Laser getötet wird, der endlich in seine Galaxie Transylvana zurückkehren möchte.
Die Individuen in der Masse
Die Stärke der Regie ist es, mit großen Ensembles auf der Bühne zu agieren, wobei Anja Nicklich diese nicht zu Massen formt, sondern jeder Figur, die im Chor oder im Ballett agiert, individuelle Charakteristika gibt. Es sind die kleinen Ticks und nicht nur die Kostüme von Antonia Mautner Markhof, die diese Aufführung lebendig machen, zumal dieses Ensemble sichtlichen Spaß hat. Es gelingt der Regie, Musiktheater- und Schauspielensemble so zusammen zu schmelzen, dass weder vom Spaßfaktor, noch von der musikalischen Qualität Unterschiede wahrnehmbar wären.
Einzig Adrian Becker, der schon einmal 2003 in Koblenz die Rolle des Frank’n’Furter spielte, kommt als Gast speziell vom Musical. Herausragend agiert Theresa Dittmar als Janet mit einer tollen Stimme. Wie sie ihre Schüchternheit ablegt und sich auf diese neue fremde Welt einlässt, sozusagen sich von ihrer Bürgerlichkeit emanzipiert, das spielt sie groß aus. Auch Sebastian Seitz als ihr Verlobter Brad entdeckt in dieser Nacht ganz andere Seiten an sich. Kein Zweifel: Diese Nacht macht etwas mit ihnen.
Starkes Ensemble in Koblenz
Isabel Mascarenhas spielt den kleinen Irrwisch Magenta, hinterhältig souverän, während Wiebke Isabella Neulist die Columbina im Glitzerkostüm als tragisch liebende Figur anlegt. Und da ist noch die von Frank’n’Furter geschaffene Figur des blonden muskulösen Rocky, der aber von der Schüchternheit der Janet angezogen wird und seinen „Herrn“ damit in den Wahnsinn treibt. Sebastian Smulders spielt diesen zunächst in seiner ganzen Tumbheit aus, bis er dann seine Begierde kennen lernt.
Peter Rembold zeigt den Dr. Scott als die Karikatur eines britischen Landlords. Er ist auf der Suche nach seinen Neffen Eddie, den Sebastian Haake einen starken Auftritt verpasst. Aber Eddie, der ehemalige Geliebte von Frank’n’Furter, muss Rocky weichen. Den Erzähler spielt Bruno Lehan, stets mit der (kalten) Pfeife in der Hand, begleitet von einer Asiatin mit Koffer in der Hand als running gag. Auch darin ist Anja Nicklich eine Spezialistin, sie hat Gespür für komische Situationen, die sie ausbaut, ohne dass diese zum Selbstzweck werden.
Für diese Inszenierung hat Antonia Mautner Markhof ein Einheitsbühnenbild geschaffen, eine Art herrschaftliches Foyer, mit Treppen- und Stufenaufbau, während der gesamten Vorstellung leicht eingenebelt. Im Licht von Julia Kaindl, dessen faszinierende Kraft mit der Zunahme der Dunkelheit sich immer stärker ausfaltet, bekommt das bewegte Bild immer schärfere Konturen. Nur die sechsköpfige Band „The Transsexual Transsylvanians“ unter der Leitung von Felix Pätzold ist backstage verborgen. Dabei lässt es Pätzold swingen, auch, wenn alle Melodien so ungemein bekannt erscheinen, man muss den perfekten Klang erzeugen. Das gelingt dieser Band. Auch, wenn rechtlich vieles festgelegt ist, diese Inszenierung führt vor, welche Möglichkeiten im Detail liegen. Da ist in Koblenz ein großer Wurf gelungen.