Foto: Marta Herman in "Operation Abendsonne" am Staatstheater Kassel © Isabel Machado Rios
Text:Jan Fischer, am 9. Juli 2023
Erneut setzt sich der Dramatiker Dick Laucke mit der Geschichte rechter Gewalt auseinander. Am Staatstheater Kassel erzählt er mit „Operation Abendsonne“ kaum verschleiert, wie die große Politik mit rassistischen Morden umgeht. Begleitet wird das von Musik von verfemten Komponisten.
„Wenn die Zivilisation aus einer dünnen Schicht Verwaltung besteht, muss es ja irgendwann knallen“, sagt die Figur Sebastian Teubner am Anfang von „Operation Abendsonne“ im Staatstheater Kassel. Teubner ist – nur sehr wenig verschlüsselt – dem hessischen Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temma nachempfunden. Der war während des NSU-Mordes an Halit Yozgat in einem Internetcafé in Kassel – will aber nichts davon gesehen und gehört haben. Genauso wenig verschlüsselt sind die anderen Rollennamen: Ein Holger Fourier tritt da beispielsweise auf (der damalige Innenminister und spätere Ministerpräsident des Landes, Volker Bouffier, der die Ermittlungen behinderte) oder ein Bernhard Meyn (Boris Rhein, damaliger Innenminister und späterer Regierungschef und Ministerpräsident).
Politische Possen in Kassel
Fourier inszeniert sich im Wahlkampf als fröhlich als Sherriff auf einer Plattform, die vor allen Dingen mehr Polizei fordert, ein paar dumpfe Parolen raushaut und sich auf dem Schützenfest den heiß diskutierten Schlager „Layla“ von einem Blasorchester vorspielen lässt. Sein Parteikollege Meyn folgt ihm durch die Ränge. Dass da ein Mord dazwischenkommt, bei dem „einer von unseren“ dabei war, ist da nicht unbedingt ein Skandal, mehr ein kleinerer Holperer auf dem Weg zur Macht. Schließlich stehen die Wahlen an, und – daher der Titel „Operation Abendsonne“ – am Ende der Wahlperiode müssen noch einmal alle Mitarbeiter auf höhere Posten gehievt werden.
Man kann ja auch einfach Akten schreddern und es auf die Praktikantin schieben. Die sich allerdings als die Chefin der Grünen (hier: Charlotte Rahn) entpuppt, die genau wie Ines Böttcher, die die gerne Staatssekretärin werden möchte, ihr Wissen um den Vorfall nutzt, um ihre Macht auszuweiten. Zwischendrin taucht die – 1992 von einem Rechtsterroristen ermordete – Holocaust-Überlebende Blanka Zmigrod-Feldmann auf und singt beispielswiese Werke des im Zweiten Weltkrieg deportierten Erwin Schulhoff. Außerdem taucht eine Figur namens Grzegorz Brzęczyszczykiewicz auf, entlehnt aus einer polnischen Komödie, und arrangiert immer wieder die Buchstaben „Regierungspräsidium“ neu, die hinten an einer um einen Metalzylinder drapierten Fototapete des hessischen Regierungspräsidiums in Kassel angebracht sind. Er darf aus „6 Monologe aus Jedermann“ von Frank Martin singen.
Gnadenlos dokumentarisches Theater
„Dokumentarische Groteske“ lautet der Untertitel der Inszenierung von Christina Pohle und dem Ensemble. Dokumentarisch, weil hier (kaum verschleiert) tatsächliche Vorfälle bei der Aufklärung vor allem des Mordes an Halit Yozgat thematisiert werden. Groteske, weil alles als absurdes, fast schon clowneskes Polittheater inszeniert wird: gnadenlos überspielt. Gnadenlos, auch für den komischen Effekt, übertrieben.
Dem gegenüber steht die Musik: Zwar sollte „Operation Abendsonne“ ursprünglich komplett eigene Musik, komponiert von Genoël von Lilienstern, bekommen, was allerdings aus, so hieß es vom Theater, gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei. So gibt es nun eine Zusammenstellung von Kompositionen, die im Dritten Reich größtenteils als „Entartete Kunst“ deklariert wurden: Neben Martin und Schulhoff sind auch George Gershwin, Krzysztof Penderecki und Alban Berg mit von der Partie. Pendereckis „Intermezzo für 24 Streicher“ sorgt auch für das Schlussbild: Bis auf die Streicher sind die Orchestermusiker schon gegangen, der Graben wird hochgefahren und auf den leeren Stühlen liegen Schilder mit den Namen von Opfern rechter Morde. Auch die Streicher gehen dann und legen weitere Schilder mit Namen auf ihre Stühle.
Zwischen Beruhigung und Angriff
Zwischen der überspitzten Politgroteske und der ernsten – bis tragisch-atonalen – Musik versucht der Abend eine Gratwanderung zwischen Lustigkeit, Aufarbeitung und angemessenem Erinnern. Gleichzeitig versucht „Abendsonne“ zu skandalisieren, mit den kaum verschleierten Namen sich zum Stadtgespräch zu machen in einer Stadt, die sich mit dem Gedenken nach wie vor schwertut.
Man kann sich hier fragen, ob eine Groteske die angemessene Form ist, um die Ereignisse, das Schweigen der Beteiligten und die politischen Vorgänge in Hinterzimmern rund um den Mord und – ein Stück weit – den NSU-Komplex aufzuarbeiten. Oder ob der Witz, der unbestreitbar in Dirk Lauckes Text steckt, alles zu wenig ernst nimmt; zu weit von sich abrückt. Man kann sich sicherlich auch darüber streiten, ob die Betroffenheit, die mit der Musik und dem Schlussbild generiert werden soll, angemessen ist oder eher das kuschelige Gefühl gibt, allein mit dem Ansehen der Inszenierung hätte man im sicheren Rahmen des Theaters schon genug gegen rechte Gewalt getan. Es gibt jedenfalls an „Operation Abendsonne“ einiges, worüber es sich diskutieren lässt. Ein Skandal mit Ansage ist die Inszenierung sicherlich nicht, ein wenig bissig in Richtung der Politik ist sie allerdings schon.