Foto: Lena Urzendowsky und Lina Schwarz als Brunhild und Kriemhild © David Baltzer
Text:Anne Fritsch, am 8. Juli 2023
Pınar Karabulut inszeniert bei den Nibelungenfestspielen in Worms die Uraufführung von Maria Milisavljević’ „Brynhild“ als kunterbuntes Spektakel, das mit Erwartungen spielt und mit klassischen Rollenzuschreibungen bricht.
Die Nibelungensage ist eine reichlich männliche Angelegenheit – und die Nibelungenfestspiele in Worms waren das lange Zeit auch. Im vergangenen Jahr aber schrieb der österreichische Autor Ferdinand Schmalz mit seiner (inzwischen mehrmals nachgespielten) „hildensaga. ein königinnendrama“ eine starke feministische Überschreibung des Stoffes. Er rückte Krimhild und Brunhild ins Zentrum, ließ sie sich verbünden im Kampf gegen die toxische Männlichkeit. Eine Utopie war das nicht wirklich, Schmalz endete ziemlich dystopisch mit der Erkenntnis, dass weibliche Gewalt eben auch Gewalt ist und diese anscheinend nicht endet, solange der Mensch ein Mensch und dem Menschen ein Wolf ist.
Opulente Ausstattung
In diesem Jahr nun haben die Nibelungenfestspiele erstmals ein weibliches Kreativteam beauftragt, den alten Stoff auf seine Gültigkeit fürs Heute zu befragen: die Autorin Maria Milisavljević und die Regisseurin Pınar Karabulut. „Brynhild“ heißt – wiederum wenig überraschend mit weiblichem Fokus – die Uraufführung, die nun vor der historienträchtigen Kulisse des Wormser Doms Premiere hatte. Bühnenbildnerin Michela Flück hat eine fliederfarbene Treppenlandschaft mit ebenso fliederfarbenem Wüstensand entworfen, zentral ein großer Aufbau mit Projektionsfläche, links ein roter transparenter Kubus: eine Art Kantine für die erschöpften Nibelungen, wo sie schon mal einen Burger essen oder karteln können. Auf dem Dach finden die Musiker Daniel Murena, Martin Tagar und Oliver Bersin Platz, wenn sie nicht gerade durch den Sand robben oder an der Rampe singen. Kostümbildnerin Teresa Vergho hat die Spieler:innen in opulente bunte Kostüme gekleidet, die ganz für sich schon kleine Kunstwerke sind. Frigga und Odin sehen aus, als kommen sie von einem anderen Stern (was sie aus Sicht der Nibelungen ja quasi auch tun), Gunnar, Hagen und Kriemhild haben die Rottöne gemeinsam, sonst aber nur eines: die Extravaganz ihrer Gewänder. Und als Sigurd und seine Gefährt:innen in Iseland landen, tragen sie schwarze Michelin-Männchen-Raumfahrt-Tauchanzüge.
Susanne Steinmassl hat aufwendige Videos gedreht, die nicht nur räumlich das Zentrum der Aufführung bilden. Da sieht man anfangs Bekim Latifi als Sigurd durch den (Pfälzer?) Wald irren und schließlich den Drachen (stark gespielt von Ralf Moeller) töten. Man sieht Sigurd anschließend eine Blutdusche nehmen, dann das Ensemble im Dom herumschleichen oder artifizielle Videos, in denen etwa eine weiß geschminkte Brynhild den Sigurd wie eine antike Göttin mit einer Amphore voll Blut übergießt. Später liegt sie selbst auf einer Art Opfertisch, umringt von Männern in Bademänteln, von denen einer ihr mit einer Kettensäge bedenklich nahe kommt, bis ihr der Gummidrache aus der Hand fällt. Regisseurin Karabulut spielt mit bekannten Bildern, vermischt und verfremdet sie, stellt sie in neue Zusammenhänge. Abwechselnd mit den vielen Live-Videos werden sie zum Zentrum der Aufführung, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich – und manches Mal weg vom tatsächlichen Spiel.
Das Ende: ein Auftrag
Auch hier üben sich Karabulut und Milisavljević im Bruch mit Erwartungen. Dieser Sigurd hat nichts mit dem geläufigen Bild eines Helden und Drachentöters gemein, und Brynhild, die Kriegerische, verweigert sich dem Kampf. Ihre Begegnung hat eine unerwartete Zartheit. Bekim Latifi spielt den Sigurd als zartes Nervenbündel, einen, der zu diesem Kampf getrieben wurde und durch ihren Widerstand im Innersten erschüttert wird. Lena Urzendowsky spielt die Brynhild im goldenen Glanzanzug als eine Mischung aus trotzigem Mädchen und Kämpferin für ein besseres Morgen. „Wahrer Mut streckt die Hand aus“, ruft sie Sigurd entgegen. Küssen statt kämpfen, das ist ihre Devise. Man könnte auch sagen: Make Love Not War.
Leider geht das Spektakel aus Action, Musik und Video immer wieder auf Kosten der Handlung. Diese büßt einiges an Stringenz ein in diesem knallbunten Treiben. Das Bekannte wird zum Unbekannten. Vielleicht zu sehr. Natürlich kennen hier die meisten diese Story. Sie wird zum Fragment, zum Ausgangspunkt für wilde Assoziationen. Motivationen, die Milisavljević in ihrem Text klar herausarbeitet, verlieren sich im Getümmel, die Stringenz der Figurenführung geht ein wenig verloren. Wo Milisavljević auf ziemlich klassisches Drama setzt, setzt Karabulut auf Dekonstruktion. Am Ende ersticht Brynhild sich selbst, um anschließend als eine Art Friedensgöttin aufzuerstehen. Sie hat sich „kaputt geliebt“, obwohl es ihr doch um eine „Revolution der Liebe“ geht. Eine Revolution, die zumindest vorerst gescheitert ist. „Ich erzähle meine Geschichte“, erklärt sie dem Publikum. „Damit wir nicht Jahr für Jahr dieselbe Geschichte hören müssen.“ Sie wolle uns eine Welt zeigen, in der alles möglich ist. „Was ihr daraus macht, ist eure Sache.“ Und so übergibt diese Inszenierung am Ende die Verantwortung für die Überwindung der Gewalt an uns alle. Eine Utopie ist auch das nicht: eher ein Auftrag.