Foto: Lauretta van de Merwe, Seraina Löschau, Morris Weckherlin, Roman Pertl und Eva Lucia Grieser in "Ein Sommernachtstrauma" vom Zimmertheater Tübingen © ITZ im Zimmertheater Tübingen
Text:Manfred Jahnke, am 2. Juli 2023
Shakespeares „Sommernachtstraum“ ist schon dem Titel nach beliebtes Sommertheater. In Tübingen hat sich das Institut für theatrale Zukunftsforschung den Klassiker vorgenommen und auf links gedreht: In dem gelungenen Theaterabend rückt unser Verhältnis zur Natur ins Zentrum und Titania zu einem alles zersetzendem Bakterium.
Bange Blicke zum Himmel: Die Freilichttheatersaison in Deutschland hat begonnen. Auch in Tübingen, wo nach der langen Sonnenperiode rechtzeitig zur Premiere von „Irrlichter. Ein Sommernachtstrauma“ von Hannah Zufall ein Schnürlregen einsetzte. Das tat aber der Überschreibung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ keinen Abbruch, in der die Autorin zwar Handlungsstränge aus der Vorlage übernimmt, auch einzelne Figurenensembles. Aber aus der großen Besetzung im Original bleiben gerade fünf Gestalten übrig: Puck, Zettel, das Bakterium Titanicae und das Liebespaar Hermia und Lysander. Im Bühnenbild von Gregor Sturm wird der dystopische Charakter des Geschehens deutlich: Das Verhältnis von Natur und Mensch ist zerrüttet.
Bühne voller Topfpflanzen
Das Team vom ITZ im Tübinger Zimmertheater hat den Ort gut gewählt. Auf einem aufgelassenen Schlachthofgelände sind die Pfosten aufgeschlagen. Eingegrenzt durch einen langen Container glänzt auf dem Asphalt Altmetallschrottprodukte. Überall stehen welke Blumentöpfe herum (die Tübinger waren aufgerufen, Topfpflanzen, die nicht mehr in ganz gutem Zustand sind, beim Theater abzugeben). Links vorne dominiert ein großer Strohballen, rechts ein Wasserbassin nebst einer Badewanne, in der sich das Bakterium anfangs räkelt.
In der Mitte steht das Wrack eines alten Mercedes der E-Klasse. Wenn das Heck aufgeklappt wird, sieht man auf einen Schrein, mit dem der Diener Puck seine entschwundene Herrin Titania nachtrauert. Roman Pertl spielt diesen Puck im weiten weißen Glitzerrock in seiner neuen Funktion als Mitarbeiter der „Beifall GmbH“, der gute Laune versprühen und seinen Spaß haben möchte.
Hermia und Lysander sind seine Lieblingsobjekte. Laurette van de Merwe, im goldenen Partykleid (Kostüme: ebenfalls Gregor Sturm) klettert über einen Zaun auf die Spielfläche. Sie, die in den Wald flüchten will, reißt gleich eine Getränkedose auf. Standesgemäß fährt der Lysander von Morris Weckherlin, in einem silbernen Partyanzug gehüllt, mit dem Auto vor. Er möchte sich sogleich über Hermia hermachen, aber diese ziert sich wie bei Shakespeare. Und wie bei diesem greift Puck dann zu seinem Rauchzauber: Lysander liebt nun einen Baum, den er ständig zu umarmen versucht. Jemand, der vermeintlich zur Natur zurückgefunden hat.
Naturbetrachtungen mit Shakespeare
Hannah Zufall rückt nicht das Liebespaar in das Zentrum ihrer Verwandlungen, sondern das Bakterium, das mit seinem Rost die Titanic zersetzt und sich bleiern über die Welt, die voller Altmetall ist, verbreitet. Seraina Löschau spielt diese Titanicae zunächst wie ein Embryo in der Schubkarre, bevor sie den Raum nicht nur im Wasser erobert und sich auf der Rückbank des Autowracks mit Zettel einlässt und sich dabei eine Art Sexpuppe verwandelt.
Eva Lucia Grieser spielt Zettel als biederen Handwerker, der zunächst einen Heizkörper mit sich herumträgt, die Klappe an einer Geschirrspülmaschine auf- und zuschlägt oder an einem Lampenkörper herumdoktert, aber zu Beginn des Spiels irgendwie nicht dazu gehört. In der Begegnung mit dem Bakterium aber mutiert er zum verzweifelten Vertreter der Letzten Generation. Es gelingt Puck auf der Suche nach einem Happy End nicht, Zettel zu stoppen. Er muss auf das Mittel, das sein eigentliches Metier ist, zurückgreifen: Erfolgreich fordert er das Publikum zum Beifallssturm auf, um Zettel auszubremsen und diesen Theaterabend in ein traumatisches Erlebnis zu verwandeln.
Verwandlungen hinter dem Tübinger Schlachthaus
Hannah Zufall arbeitet sehr sorgfältig mit den Widersprüchen im Verhalten der Menschen zur Natur. Zwischen dem Bewusstsein, das sich etwas in diesem Verhältnis verändern muss, und der Praxis der Bequemlichkeit, die den Wald zu einem Müllplatz macht. Die Autorin arbeitet dabei viel mit Liedtexten von Deichkind bis hin zu Britney Spears, die auch live – oft a capella – gesungen werden. In diesen Songs werden nicht nur emotionale und mythische Bilder beschworen, sondern mit diesen deuten sich auch die Wechsel in den Verwandlungen an, die daher manchmal sprunghaft erscheinen.
In ihrer Uraufführungsinszenierung überschlägt sich Magdalena Schönfeld vor Einfällen, die wie das Spiel des Bakteriums mit kleinen Badeenten dem Credo von Puck – Spaß, unbedingt Spaß – folgen, aber im nächsten Moment das Lachen im Halse stecken bleiben lässt, weil der dystopische Charakter des Geschehens sich unverhüllt zeigt. Dabei kitzelt die Regie die hohen musikalischen Fähigkeiten des Ensembles heraus: Mit Schlagzeug, E-Gitarre, Saxofon oder Keyboard begleitet es sich. Ein gelungener Theaterabend, bei dem der Schnürlregen denn auch nachließ.