Mina Salehpour beim Fotoshooting mit Tobias Kruse von der Agentur Ostkreuz

Die Rolle der Frau

Mehr Intendantinnen, emanzipierte Inszenierungen und Frauenquoten: Ein Schwerpunkt über den Female Shift im Theater. Dazu ein Porträt über die Regisseurin Mina Salehpour

aus Heft 07/2023 zum Schwerpunkt »Die Rolle der Frau - Wo stehen wir mit der Emanzipation am Theater?«

Die Regisseurin Mina Salehpour stammt aus Teheran. Ihre Wurzeln und damit auch die Unterdrückung von Frauen in ihrem Vaterland hatte sie lange verdrängt. Nun verändert die Protestbewegung #WomanLifeFreedom im Iran ihre Einstellung und ihre Arbeit. Ein Porträt

Momentan probt Mina Salehpour abwechselnd in Trondheim und Köln. Ende September wird am Trøndelag-Theater in Trondheim ihre Inszenierung von Nino Haratischwilis Roman „Das achte Leben“ Premiere haben – nur vier Wochen nach der deutschsprachigen Erstaufführung des iranischen Stücks „Yazd­gerds Tod“ am Schauspiel Köln. Das war eigentlich so nicht geplant, aber nachdem die Regisseurin auf das Stück gestoßen war, entschieden die Theater­leitung und sie, dass diese Inszenierung an den Anfang der neuen Saison rücken solle: „Das muss jetzt raus und muss diskutiert werden. Damit kann ich etwas tun für #womanlifefreedom“, erzählt sie bei unserem Gespräch in Berlin. Momentan ist sie dabei, zu Hause die Textfassung für die Haratischwili-Premiere in Nor­wegen zu erstellen, „auch so eine Frauengeschichte“.

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Persische Kultur und deutsches Theatermachen

Bisher waren weder feministische Themen noch persische Kultur zentrale Punkte in Mina Salehpours Theaterkar­riere. „Ich habe mich nie mit iranischer Kultur und Dichtung befasst.“ Doch nun hat sich unter dem Eindruck der seit Herbst 2022 andauernden Proteste und Verhaftungswellen im Iran auch bei der in Berlin lebenden 38-jährigen Regisseurin der Blickwinkel deutlich verändert. Für die verzögerte Autorisierung ihrer Zitate dieses Artikels entschuldigt sie sich per Mail, dass „ein Kollege, der im Iran Arbeitsverbot und Schikane erfahren hatte, nun auf Umwegen in Istanbul ist, und da gab es viel zu organisieren …“

Vor einigen Monaten erinnerte sie sich an eine Szene aus einem iranischen Film, über die sie als Kind sehr lachen musste: Da bringt die Schauspielerin Susan Taslimi einem aus dem Süden des Landes Geflüchteten das Wort für „Ei“ bei, ein anderes Wort als das im Süden verwendete. Salehpour fand daraufhin per Google und YouTube heraus, dass diese Schauspielerin auch in „Yazdgerds Tod“ von Bahram Beyzaie gespielt hatte; der Autor selbst hatte sein Stück verfilmt. Dieses der Regisseurin bislang unbekannte Stück über den letzten persischen König vor der Eroberung des Landes durch die Araber im 7. Jahrhundert wurde 1979, also im Jahr des Sturzes des Schahs durch die Islamische Revolution, geschrieben. Und es bietet starke, mündige Frauenfiguren.

Deutsch-iranisch?

Der Iran und seine Kultur, eine gerechte Gesellschaft mit Gleichberechtigung für Frauen beschäftigen die deutsch-iranische Regisseurin nun seit einem knappen Jahr intensiv. Deutsch-iranisch? „Auf meiner Visitenkarte steht Theaterregisseurin“ distanziert sich Mina Salehpour von dieser Schublade. „Übrigens ist der Mann, der vorgestern zum Tode verurteilt wurde, ein Deutsch-Iraner, hat dieselbe Staatsangehörigkeit wie ich. Er wurde gekidnappt und unschuldig zum Tode verurteilt.“ Seitdem Mina Salehpour sich auch auf Instagram unmissverständlich für die Protestbewegung einsetzt, kann sie nicht mehr zurück in ihr Geburtsland, wie sehr viele Exiliranner:innen weltweit.

Geboren wurde sie 1985 in Teheran; gleich zweimal emigrierte sie als Kind nach Deutschland. Beim ersten Mal musste die Familie als „nicht asylberechtigt“ das Land wieder verlassen. Außergewöhnlich und bemerkenswert war, so Salehpour im Rückblick, dass die Initiative von der Mutter ausgegangen war. Wenige Jahre später, als das Mädchen in Teheran eingeschult worden war, musste der Vater mit seiner Familie das Land verlassen. „Er hatte einen sogenannten case, weil er politisch aktiv war.“ Die genauen Gründe für das Exil kennt Mina Salehpour bis heute nicht. Und das Verhältnis zu ihrem Vater war in den folgenden Jahren im oberfränkischen Forchheim schwierig: „Mein Vater hat sich während der Migration verloren. Er ist durch Stäbe gelaufen und nicht mehr normal rausgekommen“, sagt sie in Anspielung auf die Metallstäbe, die an der Gedenkstätte Berliner Mauer anstelle der ehemaligen Betonkonstruktion stehen.

Hoffnung auf Veränderung

Mina Salehpour liebt diesen Ort an der vernarbten Grenze zwischen dem Osten und dem Westen der Stadt. Für sie ist er ein Zeichen der Hoffnung: dass sich politische Verhältnisse ändern lassen, ja, dass Wunder wie die Öffnung der Mauer möglich sind. Andererseits ist ihr klar, dass nach der Vereinigung der Stadt nicht alles gut geworden sei: „Andere Mauern wurden frisch aufgerichtet. Also haben wir immerzu mit der Überwindung oder dem Einreißen dieser zu tun. Ich versuche zu akzeptieren, dass die Menschheit immer viel zu tun haben wird, und das ist eigentlich ein schöner Gedanke. Diese Hoffnung auf Veränderung zum Besseren hin, die habe ich für #womanlifefreedom, trotz aller Hürden.“

Die Geschehnisse und Entwicklungen gehen ihr nah. Und sie ist davon überzeugt, dass die von Frauen und Mädchen angeführte Revolution nicht umsonst sein wird: „Diesmal ist es anders, es ist ein anderes Gefühl. Auch meine Cousins und Cousinen im Land und selbst meine Oma fühlen das. Ich selbst bin massiv besorgt, einerseits wie in Watte gepackt und andererseits wütend. Ich habe noch nie so etwas im Magen gespürt.“ Probleme, Un­gerechtigkeiten und eingerostete gesell-
schaftliche Strukturen erkennt Mina Salehpour auch hierzulande: „Es gibt nicht nur Ungerechtigkeiten zwischen Frauen und Männern. Die Arm-Reich-Schere geht weiter auseinander als je zuvor.“ Auch in ihrer Straße im Wedding sieht sie „Welten“ aufeinanderprallen. Und das Theatersystem in Deutschland tut sich nach Mina Salehpours Ansicht schwer mit Veränderungen: „Warum in aller Welt gibt es noch so was wie den Gender Pay Gap?“ In Norwegen und Schweden sei man da viel weiter. Es gebe Kolleginnen, die sich früher und intensiver in ihren Inszenierungen mit feministischen Fragen beschäftigt haben, doch jetzt „spüre ich plötzlich eine Wut und Nulltoleranz“. Hier sieht sie ihre persönliche „Diplomatie“ am Ende. Im selben Satz jedoch lobt sie die aktuelle „Zuwendung“ unter Frauen, „aber auch die Männer, die sich an die Seite der Frauen stellen“.

Lieber Team als Peitsche

Mina Salehpour selbst ist als teamorientierte Regisseurin bekannt; die Textfassungen der Romane, die sie inszeniert, und sie inszeniert überwiegend Romane, bereitet sie vor, lässt sie aber von den Spieler:innen überprüfen und ändern. Ihre Wertschätzung des Schauspiels Köln beruht auf Gegenseitigkeit, in allen Bereichen, nicht nur bei der Theaterleitung. Die „Peitsche“, die ihr einst von einer Intendantin in der Probenarbeit empfohlen wurde, kommt für Mina Salehpour nicht infrage: „Meine Art ist so. Nicht, weil ich so nett bin, sondern weil es für mich funktioniert.“ Auch wenn Theater Arbeit und Beruf sei: „Liebe und Freude“ hält sie für essenziell. Der Probenprozess, das Erzählen einer Geschichte und die Gemeinschaft in der Vorstellung sind ihr wichtig für das Gelingen einer Premiere. „Ich sitze ja immer in meinen Premieren und will wissen, wie die Energie ist, wer mit mir im Raum ist. Am schönsten ist es, wenn die Energie auf der Bühne und die im Publikum etwas miteinander zu tun haben. Auch wenn ich eine Inszenierung von Kolleg:innen sehe, die mir nichts erzählt, ich aber im Zuschauerraum merke, dass Menschen angefasst sind, dann freue ich mich für die Beteiligten.“

In der ersten Inszenierung von Mina Salehpour, die ich sah, „Fatima“ 2011 am Jungen Schauspiel Hannover, war eine intensive Dynamik im Ensemble zu spüren, die sich aufs Publikum übertrug – mit allen Darstellerinnen und Darstellern hat die Regisseurin danach wiederholt gearbeitet. Und auch in ihren letzten beiden Inszenierungen steht das Publikum im Zentrum. Deutlich erkennbar ist das in „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz am Düsseldorfer Schauspielhaus: Das Publikum sitzt selbst auf Andrea Wagners Bühne, direkt umspielt von den Figuren dieses deutschen Geschichtsdramas. Dem Ensemble und vor allem der Hauptdarstellerin Claudia Hübbecker gelingt es, in großer Nähe, aber ohne Aufdringlichkeit die Geschichte einer unbehausten Frau zu spielen. Von der Sitzordnung her konventioneller ist die Kölner Inszenierung von Ágota Kristófs Romantrilogie „Das große Heft/Der Beweis/Die dritte Lüge“, die Ende März Premiere hatte. Bruno Cathomas und Seán McDonagh spielen auffallend sensibel die Geschichte zweier verlorener Zwillingskinder und adressieren ihre Beichten und Berichte von großer Gewalt in Kriegszeiten und kleinen Zeichen der Hoffnung keineswegs überdeutlich, aber glaubhaft unmittelbar an die Zuhörer:innen im Publikum.

Unaufdringlich im Mittelpunkt

Vielleicht beschreibt ein Bild besonders anschaulich die Sozialkompetenz der nicht eben groß gewachsenen Regisseurin. Nach einer Premiere am Schauspiel Köln , zu der sie als Besucherin kommt, steht sie im Kreis von Theaterleuten aus Köln und andernorts. Sie befindet sich dabei im Mittelpunkt, verbindet aber zugleich das Gespräch der anderen untereinander so intensiv wie unaufdringlich: „Das war schon früher auf dem Schulhof so.“

Als Schülerin hat sich Mina Salehpour überlegt, in die Politik zu gehen oder Diplomatin zu werden. „Ich bin aber aktiv keine Aktivistin oder Politikerin. In der Schule war ich Schülersprecherin und dann im Jugendparlament. Aber Geschichtenerzählen ist eine gute Ecke – und da will ich sein. Ich erlaube mir den Luxus, pubertär zu bleiben und naiv. Und das geht nicht in der Politik.“ Im Jugendtheater, in dem sie ihre ersten Inszenierungen gemacht hat, in Hannover und anschließend am GRIPS Theater, sah sie sich immer aufseiten der Kinder, nie hat sie mit pädagogischem Antrieb inszeniert: „Man braucht Naivität, um immer weiter zu fragen. Und es ist gut, dass wir peinlich sein dürfen in unserem Beruf.“ Salehpour genießt es, in Deutschland und Skandina­vien immer unterwegs zu sein und mit ihr vertrauten Menschen zusammenzuar­beiten. Das neue Kölner Stück dreht sich um Lebensthemen der Regisseurin, um Erinnerung, Wahrheit und das Geschichtenerzählen.

Mina Salehpour arbeitet als Theaterregisseurin. Geboren am 1985 in Teheran, arbeitete sie zunächst als Regieassistentin und seit 2011 als freischaffende Theaterregisseurin u. a. am Schauspiel Hannover, dem Düsseldorfer Schauspielhaus, am Schauspiel Köln und dem Norske Teatret Oslo. Von 2017 bis 2020 war sie Hausregisseurin am Staatsschauspiel Dresden. 2013 wurde sie mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST (Regie Kinder- und Jugendtheater) für „Über Jungs“ am GRIPS Theater Berlin ausgezeichnet.