Das Ja, Mai Festival an der Bayerischen Staatsoper
Foto: Szene aus "Il Ritorno" an der Bayerischen Staatsoper München © Wilfried Hösl Text:Klaus Kalchschmid, am 9. Mai 2023
Die beiden großen Premieren des diesjährigen „Ja, Mai“-Festivals an der Bayerischen Staatsoper, der Doppelabend „Il Ritorno/Das Jahr des magischen Denkens“ von Monteverdi/Didion und Tashio Hosokawas „Hanjo“, überzeugten ästhetisch wie auch musikalisch.
Warten, Warten, Warten: Es ist das Schlimmste, was einem Menschen im Alltag passieren kann. In mythischer Vorzeit – und bei Claudio Monteverdi 1640 – wartet Penelope stoisch 20 Jahre auf Odysseus – mit Erfolg! Im alten Nō-Stück „Hanjo“ aus dem 15. Jahrhundert, 1956 bearbeitet von Yukio Mishima, wartet eine Frau jeden Tag am Bahnhof auf einen Mann, der schließlich wiederkehrt, aber von ihr nicht mehr erkannt wird. Und dann ist da noch die Frau, deren Mann am Abendbrottisch zusammenbricht und die jahrelang nicht akzeptieren kann, dass er nie mehr mit ihr zusammen an einem Tisch sitzen wird.
Drei abendfüllende Produktionen waren für das diesjährige Ja, Mai-Festival der Bayerischen Staatsoper geplant, das altes und neues Musiktheater und die verschiedenen darstellenden, aber auch die bildende Kunst zusammenführen will; doch wie heißt es offiziellt: Die veränderten allgemeinen Rahmenbedingungen und das damit einhergehende Budgetrisiko brächten es mit sich, dass die Oper „Matsukaze“ von Toshio Hosokawa auf ein späteres JA, MAI – Festival verschoben werden muss. Nur: Für 2024 ist erstmal gar keines geplant! Doch auch der um ein Stück amputierte Doppelabend war mit „Hanjo“ und „Il Ritorno/Das Jahr des magischen Denkens“ in jeder Hinsicht gelungen und bot gerade dadurch ein sehr konzentriertes Festival. Da hätte es des etwas beliebigen Rahmen-(Film-)Programms mit Paul Schraders sehr stilisiert opernhaftem Biopic „Mishima“, Kenji Mizoguchis berühmtem „Ugetsu Monogatari“ und einer Doku über das Nō-Theater gar nicht bedurft.
Fruchtbares Wechselspiel aus Musik- und Sprechtheater
Vor allem mit der Kurzfassung der Monteverdi-Oper „Il ritono d’Ulisse in Patria“ zusammen mit den Szenen eines autobiografischen Schauspiels von Joan Didon unter dem Titel „Das Jahr des Magischen Denkens“ im Cuvilliés-Theater erlebte man ein Wechselspiel aus Musik- und Sprechtheater, das für beide Ebenen ästhetisch wie inhaltlich fruchtbar war. Dazu kam ein spielerischer Umgang mit dem barocken Raum, der wie ein Theater in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts genutzt wurde und in dem variable Elemente von radikal vergrößerten Papier-Bühnenmodellen vergangener Jahrhunderte immer wieder neue Räume kreiierten.
Darin (inter-)agierten und sprachen Sibylle Canonica, Wiebke Mollenhauer und Damian Rebgetz ganz selbstverständlich. Auch die Protagonisten der Oper wie Kristina Hammarström (Penelope) und Charles Daniels (Ulisse) sangen und spielten in der Regie von Christopher Rüping mit einer bestechenden Natürlichkeit. Vier Mitglieder des Opernstudios (Xenia Puskarz Thomas, Liam Bonthrone, Alexey Kursanov, Roman Chabaranok) und der frisch ins Ensemble der Staatsoper aufgenommene feine, bühnengewandte Tenor Granit Musliu (Telemaco) überzeugten in kleineren Rollen. Gerade mal ein Dutzend Musiker des Staatsorchesters und des Monteverdi Continuo Ensembles boten eine ungemein dichte, herrlich warm grundierte instrumentale Folie (Musikalische Leitung: Christopher Moulds), die weniger fremdartig klang als tags darauf Toshio Hosokawas feine Schraffuren, die sich erst allmählich verdichteten und klanglich-melodiös konkretisierten, bevor sie wieder in ein durchaus faszinierend monochrome Als Ob zurücksanken.
Magischer Warteraum
Auch im Westflügel des Hauses der Kunst, wo das Publikum an den Schmalseiten gegenüber auf Tribünen saß, bestach die Raumlösung von Rirkrit Tiravanija dazwischen: ein dank Plexiglas in all seinen Möbeln und Abmessungen fast durchsichtiges Zimmer, das sich drehen ließ und in unterschiedlichster Beleuchtung der Figuren berückende Schattenrisse an die Wand warf.
Szene aus „Hanjo“ an der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Weit sinnlicher, aber dank fließend durchsichtiger, oft schwarzer federleichter Stoffe auf oft nackter Haut mit einem Hauch Immaterialität (Kostüme: Yuima Nakazato) agierten in Regie und Choreografie von Sidi Larbi Cherkaoui sechs männliche Tänzer und zwei Tänzerinnen von Eastman aus Antwerpen, die weniger die drei Hauptfiguren vervielfachten, als neben Text und Musik eine dritte Bedeutungsebene beisteuerten und auf die Impulse der Musik, traumhaft kammermusikalisch reich gespielt vom Münchener Kammerorchester unter Lothar Koenigs, ganz anders reagieren konnten als die Sänger: Sopranistin Sarah Aristidou als Hanako, das verrückte Mädchen, die große schwedische Mezzosopranistin Charlotte Hellekant als Jitsuko Honda („A Spinster – eine alte Jungfer“) und Bariton Konstantin Krimmel als Yoshio, „ein junger Mann“. Obgleich einer neben sechs weiteren attraktiven Männern, die tanzend sprechender waren als der konsternierte Bariton. Er sieht sich der Eifersucht einer reifen Frau und den Erinnerungslücken seiner einst offenbar geliebten Freundin so fassungslos gegenüber, dass er irgendwann hilflos zu schreien beginnt.
Bei „Il ritorno …“ steht zuletzt das erfolgreiche Warten neben der Erkenntnis, dass das Ende des Wartens auch bedeuten kann, dem Unausweichlichen ins Gesicht zu sehen und loszulassen. Dagegen suggeriert der Schluss von „Hanjo“ mit einer gewissen Illusionslosigkeit, dass über die lange Zeit des Wartens eine unauflösbare Verbindung der beiden freiwillig und unfreiwillig Wartenden entstanden sei, gleichsam als eine Zweckverbindung, die nun geheiligt wird. Happy Ending sieht anders aus.