Foto: © Nils Heck
Text:Michael Kaminski, am 13. März 2023
Lulus Heimat ist der Sockel. Nicht allein der Maler positioniert sie darauf, ihre sämtlichen Ehemänner und sonstigen Verehrer blicken lüstern zu ihr empor. Doch bietet der erhöhte Standort nur bedingten Schutz. Fallweise klimmen die Männer zu ihm empor, um sich zu holen, wonach sie gieren. Macht über ihre Liebhaber gewinnt Lulu allein, indem sie die männlichen Klischees perfekt bedient. Sie gibt die femme fatale, ob sie sich selbst tatsächlich als solche empfindet, bleibt offen. Mag sein, es ist ihr einerlei. Regisseurin Eva-Maria Höckmayr zeigt sie als Virtuosin der Selbstausstellung. Lulu choreografiert sich und ihre Beziehungen geradezu vom Sockel herab. Immer wieder funktioniert sie ihn zur Bühne um, auf der sie sich erlaubt, souverän mit Männerphantasien zu jonglieren und sie gegeneinander auszuspielen. Bei Dr. Schön und Alwa wendet sie die des romantisierenden Sohns gegen die Doppelmoral des Vaters. Gelingen kann ihr das, weil sie niemals vordergründig materielle oder intrigante Interessen verfolgt, immer erhält sie sich jene ätherische Leichtigkeit des Seins, aus der ihr Charisma erwächst. Jedenfalls bis zu ihrer Flucht aus dem Gefängnis. Ohne Umschweife lässt Höckmayr Lulus Zauber unter dem Druck der Erpressungen durch den Mädchenhändler und den Athleten verfliegen. Was übrig bleibt, ist zum Erbarmen. Lulu scheitert, wenn sie sich feilbietet. Die einstige Virtuosin auf dem Feld männlicher Wunschvorstellungen agiert nun völlig hilflos. Prostitution ist nicht ihre Sache. Höckmayr hat ein die Handlung beobachtendes und begleitendes Frauenkollektiv ersonnen und ihm die Aufgabe erteilt, die sich bis heute fortschreibende Gewalt gegen Frauen zu bezeugen. Final umsteht es das Bett in der Absteige, in dem Jack the Ripper im verelendeten Männerschwarm ein weiteres Opfer findet. Bühnenbildner Paul Zoller setzt im Wesentlichen auf den Sockel als Aktionsfläche für die Titelfigur. Auf der Drehbühne rotieren Lulus Gatten, Liebhaber und Verehrer wie Planeten um das Zentralgestirn. Atmosphärisches scheint bei Zoller nur selten auf. Julia Rösler steckt die Titelfigur samt Frauenkollektiv meist in beige, an die Farbe der Haut angeglichene Trikotagen. Nicht immer sitzen sie wie angegossen, auch bei Lulu nicht.
Ausgezeichnete Besetzung
Musikalisch kann die Produktion beinahe rundweg überzeugen. Wenngleich Daniel Cohen im ersten Akt einer bühnentechnischen Panne halber abklopfen muss, bis die Vorstellung nach einigen Minuten fortgesetzt werden kann, versteht er mit dem Staatsorchester Darmstadt durch eine Synthese aus analytischer Schärfe und dramatischer Verve zu packen. Juliana Zara ist die stimmliche Idealbesetzung für die Titelpartie. Schlank, fluid und souverän die Spitzentöne setzend, gebietet Zara über das für die Figur unerlässliche vokale Quecksilber. Den Dr. Schön gibt Oliver Zwarg mit allzu betonter baritonaler Noblesse. Für Alwa verfügt Uwe Stickert über seinen ebenso unermüdlichen wie durchschlagskräftigen und enorm höhensicheren Tenor. Katrin Gerstenberger ist die Geschwitz. Durch ausgesprochen helles Timbre lässt Sten Byriels Schigolch aufmerken. Georg Festl ist ein sportlich durchtrainierter, stimmlich viriler Athlet, Lena Sutor-Wernich ein Gymnasiast in Cherubino-Attitüde. Auch die weiteren mittleren und kleineren Rollen sind ausgezeichnet besetzt.