Im Kern steht die Familie King. Barbier Charly finanziert das Leben seiner Schwester und Mutter mit. Sein älterer Bruder Flint ist arbeitslos, weil die Mine geschlossen wurde. Er versucht es mit illegalen Alkoholverkauf und zieht seine Schwester in die Geschäfte hinein. Die Mutter intrigiert und Charly versucht verzweifelt, die Familie zusammenzuhalten. Dabei kann ihm aber auch sein Freund, der Sheriff, nicht helfen. Schließlich verstrickt sich ein Teil der Familie noch in ein politisches Attentat, das verschärfte Waffengesetze verhindern soll. High Noon, die Stunde der Entscheidung, steht kurz bevor.
Spiel mit den Klischees
Im Grunde ist die Geschichte flach und holzschnittartig – ein Western eben. Über weite Strecken bleiben die Charaktere wie dort oberflächlich, gewinnen nur in entscheidenden Momenten Tiefe, wenn ihr Inneres hervorbricht. Da ist von Wut übers Regiert werden aus der Ferne die Rede, wo „die da oben“ sich gar nicht um den Ort scheren. Es geht um Stolz und Verletzungen, kurz: „Einen Grund haben, morgens aufzustehen“, wie Flint es schlicht formuliert. Auch von der Überzeugung oder Hoffnung, sich auch in der Peripherie etwas aufbauen zu können, ist zu hören, und der Glaube an Gerechtigkeit. Und ebenso wird politische Gewalt gegen die staatliche Ordnung touchiert. Also Themen, die auch die Menschen im Osten umtreiben.
Wie die Autorin mit gewisser Leichtigkeit agiert, nichts aufdrückt, so bringt Regisseurin Lisa Pauline Wagner den Stoff als unterhaltsame Spielerei auf die Bühne. Schon das Bühnenbild erweist sich als doppelbödig: In der Prärielandschaft mit Kakteen und weitem Himmelshorizont steht das Bison auf schlecht kaschierten Metallstelzen, den Mond hält ein sichtbares Gestell. Das wirkt wie eine Hinterlassenschaft aus einem Filmset. Vorn steht ein Friseurstuhl, das „Barber“-Schild hängt an einem Galgen, auch eine Saloontür steht wie ein Filmzitat im Raum. Von Staub ist auf der gelb ausgemalten Bühnenfläche nichts zu sehen, natürlich rollen Steppenhexen durchs Bild. Was ist Klischee, was ernst gemeint – das hält die Inszenierung in der Schwebe.
Kurz verlöschendes Licht setzt Szenenwechsel. Gewollt grob ist das Spiel, es wird viel gelärmt und gestikuliert. Das hätte mehr Schattierungen vertragen, passt allerdings ins Westernthema. Und auch die schwarz-weißen Kostüme – Cowboyhüte und -stiefel, Westernhemden mit Fransen, Korsagen – fügen sich ein und bilden einen hübschen Kontrast zur bunten Kulisse. Die Spielenden werfen sich voll in ihre Rollen, schonen sich nicht. Xenia Wolfgramms Sarah fliegt vielfach über die Bühne, wenn sie geschubst oder geschlagen wird. Größten Raum zur Rollengestaltung hat Paul-Antoine Nörpel und nutzt sie für seinen Barbier geschickt, der von weinerlich bis durchsetzungsstark das Mimenspiel beherrscht und den schönsten breitbeinigen Cowboygang hinlegt. Als Sheriff hat Marc Schützenhofer die wenigsten Möglichkeiten, aber allein mit körperlicher Präsenz und sonorer Stimme überzeugt er als Mann der Stunde. Keiner zieht schneller.
Livemusik mit Maultrommel und Geige, Line-Dance-Einlagen, Mond-Anheulen und Platzpatronen-Salven fügen die seichten Szenen zu einem Ganzen. Das ist einerseits lustvolle Hommage ans Filmgenre mit schräger Bad-Segeberg-Atmosphäre, andererseits etwas wenig Greifbares – was ein Gewinn ist. Immer schwingt auch Gespenstisches mit, dringt Unbehagen und Unbehagliches an die Oberfläche, mag dem einen oder anderen Zuschauer zu denken geben. Und das ist schon viel für einen Western für den Osten.