Zwischen klassischem Ballett und Tanztheater
Nach diesem eindrucksvollen, gewissermaßen leitmotivisch zu deutenden Opening sah man den auf die Bühnenrückwand projizierten Jubiläumsfilm „Return“ von Hofesh Shechter. In Bewegungssequenzen umgesetzt, holt ein Tanz-Orpheus seine geliebte Eurydike aus den Kühlfächern eines Leichenschau-Hauses ins Leben zurück. Ein Konzert von Johann Sebastien Bach inspirierte dazu.
Vor Witz und Ironie nur so sprühende Tanz-Etüden folgten, die der moderierende Dance-Company-Chef als „Party-Pieces“ von der Sonnenseite des Tanzes bezeichnete. Zum einen Gauthiers Tanz-ABC, dem anspruchsvoll-virtuosen Solostück für einen als Oberkellner in Schwarz ausstaffierten Tänzer, der in schweißtreibenden Demonstrationen die Nomenklatura des Balletts von Arabeske bis Jeté durchbuchstabierte und mit eingeschobenen Missgeschicken auflockerte – beispielsweise einem „O my God“, wenn die Bandscheiben einen Nerv einklemmten. Zum anderen gabs zu schnulzigen Dean Martin-Songs Alejando Cerrudos „Pacopepepluto“: Drei nur mit Minislips versehene Tänzer spreizten sich geschmeidig und hüpften zur Freude der Voyeure wie erotisierte Faune herum. Und drittens Itzik Galilis „The Sofa“, wo sich zu dem mit rauchig rasselnder Stimme vorgetragenen Liebeslied „Nobody“ von Tom Waits abwechselnd ein binäres und ein raffiniert unterschobenes gleichgeschlechtliches Möchtegern-Liebespaar auf einem gelben Kippsofa übergriffig betatschten und balgten.
Uraufführung für die „Dance Juniors”
Die abschließend gebotene, umfangreich-mehrteilige Arbeit „Minus 16“, ein weltweit aufgeführter, zahlenmäßig genau zu Gauthier Dance passender israelischer National-Tanzklassiker von Ohad Naharin, präsentierte einen ausdrucksstarken Stilmix zu amerikanischen Gesellschaftstänzen und wummernden Beats, aber auch Duos zu zarter Vivaldi-Musik. Nachhaltig die Halbkreis-Stuhlpassage: Auf den Stühlen agierten die Tänzer und gestalteten einen unerhört eruptiven Ritus, eine abgründig-traumatische Beschwörung der Schoah.
Ein Ereignis des Jubelabends sollte keinesfalls vergessen werden. Als Herzensangelegenheit hat Gauthier mit vorerst vier Eleven, je zwei sehr jungen Frauen und Männern, die „Dance Juniors“ ins Leben gerufen. Für dieses Quartett schuf Dunja Jocić, eine international mehrfach ausgezeichnete Tänzerin und Choreografin aus Belgrad, das feine, nun in Stuttgart uraufgeführte Tanzstück „Ayda“. Die schwarz eingekleideten Juniors verwandelten dunkle Gefühlswelten zu einer Komposition von Renger Koning in vielfältige Bewegungs-Sprache. Mit dem kleinen Ensemble besucht Gauthier auch Schulen, um die Kinder in Turnhallen und auf den Pausenhöfen für das Tanzen zu begeistern und zur Bewegung anzuhalten. Stolz präsentierte der Company-Chef erste Erfolge mit einem Film. Da darf man dem Jubilar mit den Lateinern zurufen: Ad multos annos!