Foto: Iordanka Derilova und Tilmann Unger in "Der König Kandaules" am Anhaltischen Theater Dessau © Claudia Heysel
Text:Roland H. Dippel, am 26. Februar 2023
Für das unter dem Motto „Im Zeichen des Umbruchs“ stehende Kurt Weill Fest 2023 in Dessau ist der stoffliche Kern aus Alexander Zemlinskys weitgehend im amerikanischen Exil Ende der 1930er-Jahre entstandener, aber unvollendeter Oper von höchster Relevanz. Im Textbuch, für das Zemlinsky André Gides Schauspiel in der deutschen Fassung von Franz Blei einrichtete, spielt der Konflikt des Kandaules die zentrale Rolle. Er will die Königin Nyssia, sein höchstes Glück, mit einem anderen (Mann) – dem Fischer Gyges – teilen und wird deshalb zum Opfer seiner eigenen und höchst extravaganten moralischen Ideen.
Eine höchst erfolgreiche Inszenierungsreihe von „Der König Kandaules“ folgte seit der Uraufführung an der Staatsoper Hamburg 1996 mit der hoch artifiziellen wie üppigen Instrumentierung des bei der stürmisch bejubelten Premiere im Anhaltischen Theater Dessau anwesenden Antony Beaumont. Ein Showpiece ersten Ranges ist diese für die von GMD Markus L. Frank zur Differenzierung angehaltene Anhaltische Philharmonie und die Trias der Hauptfiguren. Fulminant auch die Riege der mit nur zwei Gästen ergänzten und auch aus dem Opernchor des Anhaltischen Theaters besetzten Freunde des Kandaules: Kostadin Argirov (Phedros), Musa Duke Nkuna (Syphax), Baris Yavuz (Nicomedes), Pawel Tomczak (Pharnaces), Yunus Schahinger (Philebos), Alexander Dubnov (Simias), David Ameln (Sebas), Stephan Biener (Archelaos), Cezary Rotkiewicz (Koch).
Im Fokus der Gegenwart
Guido Petzold setzte das vielschichtig schillernde Sujet in ein Fotostudio mit allerlei Scheinwerfer- und Lichtgerätschaften. In Silber hüllte Sven Bindseil die paradiesvogelhaften Ästheten aus Kandaules‘ Entourage, die der realen Welt total abhanden gekommen sind. Die originalen Sprechtexte werden durch Mikrofone verstärkt, wenn Gyges und Kandaules aus der Geschichte herauszutreten scheinen und ihre Positionen darstellen. Jakob Peters-Messer exponiert den Geschlechterkonflikt mit überspitzender Häme auf einer fast choreographischen Ebene: Frauen sind in dieser dekadenten Sphäre gesichtslose Sklavinnen und Sex-Objekte.
Wenn es ans Eingemachte zwischen den Hauptfiguren geht, stimmen bei Peters-Messer alle Feinmechanismen der großen Emotionen und Kontraste. Der Weg zu diesen bleibt etwas statuarisch, was der Exzessivität des Finales allerdings einen suggestiven Sog ins hypertroph Monumentale gibt. Da gewinnt Zemlinskys Spätzünder in Hinblick auf krude Frauenbilder um 1900 zwar nicht für das prüde Amerika von 1940, wohl aber für die Gender-Welle der Gegenwart massive Aktualität.
Gerade weil Zemlinskys Textbuch zwischen tödlichem Wertekonservatismus und ästhetischer Permissivität in diskursiver Schieflage bleibt. Wenn am Ende schwarz vermummte Frauen ihre Dolche gegen die Männer zücken, werden in dieser Zuspitzung durch die Regie die Geschlechterpositionen nur umgekehrt, aber nicht reformiert. Zur objektivierten gewaltfreien Emanzipation ist man vorerst noch immer auf dem Holzweg.
Exzessiver Stimmeinsatz
Die Sänger machen mit bei der musikdramatisch aufgeheizten Jagd. Zemlinsky zeigt sich als ein noch größerer Könner als Richard Strauss, wenn es darum geht, Figuren durch unangenehme Gesangslagen zu charakterisieren. Tilmann Unger klemmt sich mit exzessivem Einsatz einerseits in die Höhenritte und in die baritonalen Abstürze des Kandaules, der mehr mit der Aufhübschung seines Ambientes als den Seelenregungen seiner schönen Nyssia beschäftigt ist. Den rundesten Vokalcharakter – und das kann man durchaus als Zemlinskys in Töne gefasste Sozialutopie verstehen – hat der Fischer Gyges: Der partienerfahrene Kay Stiefermann ist im szenischen Auftreten von einer biederen Schlichtheit und modelliert auch in der Diktion starke Kantilenen.
Nach expressiven und deklamatorischen Zwischenwürfen hat Iordanka Derilova im Schlussakt, wenn Nyssia Gyges zum Sühnemord an Kandaules treibt, in den Eskalationen davor und danach ein ganzes Diadem großartiger Momente. In Derilovas üppig-gläserner Sprengkraft spiegelt sich die fetischistische Kraft dessen, was Kandaules in einer Reihe wollüstiger Verse verschmachtet und glorifiziert.