Foto: Ensemble des Staatstheater Hannover in "Yaras Hochzeit" © Katrin Ribbe
Text:Jens Fischer, am 25. Februar 2023
Traumblau ist die Bühne illuminiert, macht auf recht aufwändige Weise einen provisorischen Eindruck und wird durchrankt von an- und abschwellenden Klangpreziosen. Mit der Behauptung, die erste Szene spiele am 11. September 2011, setzt ein Beat ein, der die Tänzer/Sänger/Schauspieler kaum mehr loslässt. Als Jugendliche tanzen sie exzessiv und artikulieren sich mit Texten des Autorenkollektivs Antigone Akgün, Rasit Elibol, Mohamedou Ould Slahi und Rik van den Bos so wunderbar multilingual wie der Alltag heutzutage ist.
Aber es wird der letzte Tag ihres unschuldigen Daseins in einem solidarischen Wohnprojekt sein, in dem eine sozial disparate Gruppe in betont gleich großen Häusern wohnt, nur entsprechend ihres Einkommens unterschiedlich viel dafür bezahlt. Kinder toben im ökologischen, biologisch abbaubaren Sandkasten an der Nelson Mandela Avenue. Eltern spazieren auf dem pädagogischen Barfußpfad neben der Ghandi Avenue. Bis nun der 15-jährige Tony beim Betatschen eines Mädchens zurückgewiesen wird, bockig herumzündelt, woraufhin ein Haus abbrennt. Zum Feuerinferno liefert das Perkussion-Klarinette-Keyboard-Trio hochfrequente Gänsehautanimationen.
Denn, so die Bühnenerzählung, die anrückende Polizei versucht nicht den schweigenden Zündler zu verhören, sondern greifen sich den um Hilfe bittenden arabisch-stämmigen Vater eines Kindes „und beginnen ihn mit Gummiknüppeln zu schlagen. Nicht, weil er sich wehrt, sondern weil er bestraft werden muss.“ Klarer Fall von Racial Profiling: „Eine Person, die nichts getan hat, aber die mit der falschen Hautfarbe zur falschen Zeit am falschen Ort ist“. Ergänzend erklärt eine Tante den Kids, „am 11. September erinnern wir uns alle nochmal ganz kurz daran, wie gefährlich die Araber im Grunde sind“. Weiter führt sie aus, dass Menschen mit arabischen Wurzeln in Europa konsequent problematisiert, ja, dämonisiert und „damit ständig in einen direkten Zusammenhang mit Afghanistan, Irak, Al-Qaida und IS gebracht“ werden. „Und das kommt nicht nur von Rechts-Außen!“
Damit ist Guy Weizmans interdisziplinäre Performance „Yaras Hochzeit“ in den aktuellen Debatten um Alltagsrassismus angekommen. Also fremd wirkende Menschen als potenzielle Gefahr wahrzunehmen, ihnen negative Eigenschaften, Wesensarten und Mentalitäten zuzuschreiben, um sich so mit vorauseilenden Sicherheitswahn das entsprechend ablehnende Verhalten rechtfertigen zu können. Ein psychosozial nachvollziehbarer Mechanismus, der in unseren aufgeklärten Zeiten aber als inakzeptable Konstruktion rassistischer Vorurteile erkannt worden ist. Das soll untersucht werden. Deswegen haben sich die Beteiligten dieser Koproduktion des Staatstheaters Hannover und Nite Groningen mit Edward Saids „Orientalismus“ beschäftigt.
Aufreissende Wunden
Der christlich-arabische Literaturwissenschaftler mit US-amerikanischem Pass beschreibt in seinem 1978 erschienenem Buch eine ritualisierte Feindseligkeit der westlichen Wissenschaft gegenüber der islamischen Kultur. Mit der Abwertung des fremden, mit eigenen Zuschreibungen erfundenen Orients sei eine Aufwertung des vertrauten Okzidents verbunden. So würde das Überlegenheitsgefühl gestärkt und jedwede koloniale und postkoloniale Machtausübung gerechtfertigt.
Diesen Prozess im Hier und Heute zu analysieren, versucht der zweite, in 2023 angesiedelte Teil der Aufführung. Zwei aus der einstigen Jugendclique heiraten und laden alle dazu ein. Sie sind nun etwas dicker, bebrillter, bekopftuchter und gegelter als in Teil eins. Die Begrüßungen geraten unsicher, Umarmungen misslingen. In allzu beispielhaften Szenen werden Tokenismus, Klassismus, Marginalisierung und weitere Formen der Ausgrenzung vorgestellt.
Wie in Thomas Vinterbergs „Das Fest“, die Ende Januar auf derselben Bühne zur Premiere gebrachte Familiendekonstruktion, wird auch auf Yaras Hochzeitsfest mit zunehmender Trunkenheit das Witzniveau immer peinlicher und die Atmosphäre immer ungemütlicher angesichts zu lange unter den Tisch gekehrter, nun herausgelallter Ressentiments und Beschimpfungen. Aber auch Schuld-, Scham-, Entschuldigungsmonologe sind zu erleben. Zum ständig lauernden Rassismus-Vorwurf gibt es den Einwand: „Es geht nicht immer nur um die Hautfarbe.“
Kraft des Musicals
Dass dazu mal Boxkampf, Verlorenheit, Annäherung, dann aber auch Hochzeits-Polonaise und eine formidable Musikvideo-Choreografie (Roni Haver) getanzt wird, wirkt künstlerisch nicht sonderlich aufregend, steigert aber den Unterhaltungsfaktor – der Abend ist immerhin als „Beinah-Musical“ angekündigt. Weswegen das Publikum auch (sehr erfolgreich) zum Mitklatschen aufgefordert und mit reichlich Song-Darbietungen in Post-Dark-Wave-Pop-Klanggewändern bedient wird. Einen großen Lacherfolg generiert der Moment, als das Hochzeitspaar von der Liebe zwitschert und Sally (Bien de Moor) in eine Klangschale kotzt.
Unter dem genreübergreifenden Aufwand leidet allerdings die Entwicklung, Ausdifferenzierung und Präsenz der einzelnen Figuren. Nur in Ansätzen ist zu spüren, was schauspielerisch möglich gewesen wäre. Eindrucksvoll etwa die schwerst verzweifelt und wutbebend um Haltung bemühte Miranda (Anja Herden) und der tapfere Kampf des einstigen Feuerteufels (Sanne den Hartogh) und dann sozial abgestürzten Sohnes aus reichem Hause, wieder in die Gruppe aufgenommen zu werden.
Nachdem Wunden und Gräben aufgerissen sind, behauptet die Inszenierung musical-willig noch ein Happy End. Also werden alle Probleme einfach mal weggepustet. Große Versöhnung, herzliches Aufeinanderzu, Eheglücksbehauptungen. Und traumblau die Verheißung, zum PC-Wohlfühl-Versuch des Anfangs zurückzukehren. Nur eben nicht mehr so naiv Gleichheit behauptend zwischen diversen Menschen, sondern problembewusst Gleichheit immer wieder neu versuchend als kulturellen Brückenschlag. Natürlich ist das utopische Potenzial dieser Botschaft anrührend. Entsprechend reagiert das Publikum mit Standing Ovations.