Fehlende Abgründe
Die seit wenigen Wochen am Münchner Residenztheater gezeigte Version der „Antigone“ konzentriert sich gerade hierauf, auf Fragen von Machtverteilung und Gehorsam innerhalb des Staates. Die Figur der Heldin ist dem Co-Autor Slavoj Žižek dabei ein Problemfall, weil sie in ihrem Abschied von der Welt verkündet, dass ihr unbedingter Drang zur Bestattung ausschließlich ihrem toten Bruder einer elternlosen Familie gelten konnte. In Johanna Kappaufs Spiel an den Kammerspielen hingegen wird da gar kein Problem sichtbar, vielmehr zeigt sich der klare Wille, den Bruder zu bestatten und die massiven Folgen freudig auf sich zu nehmen. Am Ende dieser in ihrer Einfachheit überzeugenden „Antigone“ ist dann die (teils tote) Familie wieder am Tisch versammelt, vielleicht hat nun Ismene doch die anfangs gewünschte „Normalität“ erreicht. Aber ist das echt und glaubwürdig? Zugleich erklingt Kae (ehemals: Kate) Tempests Song „Salt Coast, foul wind /Old ghosts…“. Am Schluss dieser in manchen Aspekten – wie jede „Antigone“-Neuauflage – unterbelichteten, die Vorlage aber in stimmiges Gegenwartstheater umwandelnden Inszenierung erklingt in einfachen Worten ein sehr komplexes Sprachkunstwerk. Die Abgründe des tragischen Konflikts der „Antigone“ werden somit im freundlichen Ende poetisch angedeutet.