Von Hundekot und Pressefreiheit
Foto: Ort des Geschehens: die Staatsoper Hannover © Clemens Heidrich Text:Ulrike Kolter, am 13. Februar 2023
Die Wellen der Erregung schlagen hoch in Presse und Social Media, nachdem es am vergangenen Samstag am Rande der Hannoveraner Ballettpremiere von „Glaube – Liebe – Hoffnung“ zur Hundekot-Attacke von Chefchoreograf Marco Goecke gegen Tanzkritikerin Wiebke Hüster gekommen ist.
Nun hat die Theaterlandschaft also einen neuen Skandal, der nach bisherigem Informationsstand tatsächlich perfide anmutet – und folgenreich sein dürfte. In der ersten Pause seiner eigenen Premiere traf der Direktor des Staatsballetts Hannover, Marco Goecke, im Foyer auf die anwesende Journalistin Hüster, drohte ihr zunächst mit Hausverbot, wurde verbal ausfallend und anschließend auch physisch tätlich, indem er ihr Gesicht nach Eigendarstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Hundekot „traktierte“. Ob Goecke nun geworfen oder händisch geschmiert hat, ob Wiebke Hüsters letzte FAZ-Rezension seines Den Haager Ballettabends „In the Dutch Mountains“ den Choreografen derart provoziert hat, dass ihm sein Handeln in dieser Form entglitt – diese Details bedürfen nun einer juristischen Prüfung, denn die Journalistin hat Strafanzeige erstattet.
Und noch während die Staatsoper Hannover laut eigener Stellungnahme arbeitsrechtliche Schritte gegen den eigenen Ballettdirektor prüft, hat der Deutsche Journalisten-Verband Niedersachsen den Angriff bereits als „Attacke auf die Pressefreiheit“ gelabelt. Ob man, wie deren Landesvorsitzender Frank Rieger, so verabsolutierend in der Beurteilung gehen will oder ob es sich hier doch nur um die Eskapade eines Einzelnen handelte, der offensichtlich nicht Herr seiner Sinne war, sei dahingestellt. Die Kritik an der zögerlichen Reaktion von Intendantin Laura Berman hingegen ist verständlich: „Die Staatsoper Hannover ist ein offener Ort des respektvollen Miteinanders und Austausches. Wir sind der Meinung, dass nun Ruhe und Sorgfalt geboten sind“, heißt es in der Pressemittelung des Hauses.
Ein Problem dieses Eklats dürfte die (auch juristische) Folgeeinschätzung werden, wie mit der Personalie Marco Goecke nun am Staatstheater Hannover umgegangen wird. Es stellt sich die Frage, ob dieser Künstler noch tragbar ist, als Choreograf und als Leitungspersönlichkeit an einem Haus, das sich eine Kultur der Achtsamkeit und Diversität auf die Fahnen geschrieben hat. Schwieriger dürfte noch die nun entbrannte Frage zu beantworten sein, wo die Theaterkritik in diesem Land steht.
Wiebke Hüster ist eine der profiliertesten Tanzkritikerinnen Deutschlands; streitbar durchaus, dafür pointiert in ihren Urteilen, wortgewandt und messerscharf analysierend. Sie ist nicht die erste und wird nicht die letzte sein, die sich der Kritik an ihrer Kritik stellen muss. Gerade in diesen Zeiten obliegt Kulturjournalist:innen und damit auch uns als DEUTSCHE BÜHNE eine enorme Verantwortung, gegenüber den Theatern, aber eben auch gegenüber dem Publikum. Deshalb muss der Diskurs immer möglich sein: Auf jede Kritik ist eine Gegenkritik möglich – nur bitte in Form von Argumenten und nicht von Exkrementen.