Noch spannender wäre, was der Großdichter dem auf jeden Fall mutigen Librettisten zu sagen gewusst hätte. Das Risiko einer Distanzierung wäre für den gebürtigen Österreicher Händl Klaus nicht allzu groß, denn der hat sich (auch) als Opernlibrettist längst einen Logenplatz in der Branche gesichert. Sogar im Umgang mit jenen Grenzbereichen, die mehr oder weniger vom Tabu des allgemeinen Wegschauens geschützt sind. Mit seinem Libretto ist ihm eine den Forderungen des Genres mustergültig entsprechende Adaption der Geschichte geglückt. Eine die dabei durchaus ihrem eigenen Stern folgt. In der Oper wird zwar dauernd mit Mord und Tod gedroht, und auch fleißig gemordet und gestorben. Aber um das konkrete Sterben, das ein Leben beendet, ohne, dass der oder die Verblichene dabei bzw. danach noch vorsichhinsingen, geht es ganz selten. Diesmal (und schon in Händl Klaus’ Libretto zu „Thomas”) wird es aber konkret. Er konfrontiert den Zuhörer und Zuschauer zwar mit einem eigenartigen, scheinbar fernen Frauenschicksal, aber eigentlich doch mit eigenen Erfahrungen und einer Urangst vor dem Tod.
Vom Blühen und Verblühen des Lebens
Dass jene verwitwete Mutter, die in der Oper Aurelia heisst, sich in den Wechseljahren in den jungen Englisch-Nachhilfelehrer ihrer Sohnes Ken verliebt, und die Rückkehr schon ausgebliebener Blutungen für ein Wiedererwachen ihres Körpers durch diese (auch körperlich vollzogene) Liebe hält, und nicht als Teil ihrer tödlichen Krebserkrankung wahrnimmt, ist jener Betrug, aus dem Thomas Mann den Titel seiner Erzählung machte. Das metaphorische „Blühen“, das jetzt der Oper den Titel gibt, denkt zugleich das selbsttäuschende Aufblühen und das im Tod mündende Verblühen mit.
Es spricht für die Souveränität der Regisseurin und die Lebenserfahrung der Künstlerin Brigitte Fassbaender, dass sie sich mit ihrer sparsam zeichenhaften Inszenierung (bei der die Bühne von Martina Segna mit wenigen metaphorischen Zeichen auskommt und die Kostüme von Anna-Spohie Lienbacher menschliche Nähe zu den Figuren ermöglichen) auf ihre Heldin konzentriert. Auf ihre Sehnsucht nach einem erfüllten (Liebes-)leben ebenso wie auf das Sterben. „Endlich bin ich ohne Hoffnung“ singt sie. Und stirbt. Kein Hoffnung. Nirgends. Kein Trost, den eine Jenseitsgewissheit vielleicht bietet. So heutig wie dieses Ende zu den sich in die Stille schleichenden Klängen des Orchesters ist der prüfende Griff der Überlebenden an deren eigenen Puls.
Erstklassiges Ensemble
Wie in Frankfurt nicht anders zu erwarten, sind die Protagonisten dieser beklemmend beeindruckenden Uraufführung erstklassig. Im Zentrum die Aurelia der sich intensiv verausgabenden Bianca Andrew. Sehr nachvollziehbar gestaltet Nika Goric ihre Tochter und Vertraute Anna. Michael Porter ist der gradlinige, junge Liebhaber Aurelias Ken. Jarrett Porter betrachtet als Aurelias Sohn Edgar dessen aufkommende Leidenschaft zu seiner Mutter zunächst mit einer gewissen Eifersucht, wendet sich ihr aber im Sterben ebenso zu wie seine Schwester. Alfred Reiter (im Habitus Thomas Mann nicht ganz unähnlich) obliegt es, als Dr. Muthesius, Aurelia ihre Diagnose zu offenbaren.
Es brauchte ein paar Sekunden, bis das Premierenpublikum die Fassung zum hochverdienten Beifall fand.