Nachts im Urwald

Nicholas Morrish/kling klang klong/Anselm Dalferth/Ensemble: Leise Laute

Theater:Schauburg München, Premiere:15.01.2023 (UA)Regie:Anselm DalferthKomponist(in):Nicholas Morrish/kling klang klong

Die Tiere sind nicht eben darauf aus, sich von den Menschen belauschen zu lassen. Michael Schröder schleicht sich mit seinem Klemmbrett zum Notizenmachen leise herein, dennoch verstummen die Laute, die zuvor aus allen Ecken zu hören waren. Aus den grün leuchtenden Bäumen aus Stoffstreifen, aus den Ecken und Winkeln dieses Klang-Dschungels, den Birgit Kellner und Christian Schlechter auf die Bühne der Münchner Schauburg gezaubert haben. Erst als Schröder sich unter einem der Leiterpodeste versteckt hat, fängt es wieder an. Es blubbert, pfeift, schnauft, flötet und trötet – bis der nächste Mensch die Idylle stört. David Benito Garcia stürmt in Reporter-Manier mit seinem Richt-Mikrofon herein und redet schneller als er lauscht: „… und so trifft man hier an diesem speziellen Ort auf sehr viele Tiere. Jetzt, frühmorgens könnte man bei dem Geschrei und Gesang der verschiedenen Vögel fast schon denken, man werde taub.“ Dass es längst mucksmäuschenstill um ihn herum geworden ist, bemerkt er erst jetzt.

Kontaktaufnahme mit der Natur

Anselm Dalferth hat ein „Musiktheater über einzigartige Lebewesen und ihre Stimmen“ für alle ab 8 Jahren inszeniert: „Leise Laute“. Die Musik und Klänge stammen von Nicholas Morrish und dem Ensemble kling klang klong, den Text hat Dalferth gemeinsam mit dem Ensemble entwickelt. Das Forscherteam aus David Benito Garcia, Helene Schmitt und Michael Schröder begibt sich tief in den Wald oder auch mal unter Wasser, um das geheime Leben und Lauten der „nicht-menschlichen Tiere“ zu erforschen. Diese sind Silvia Berchtold (Blockflöten), Vera Drazic (Akkordeon), Mathias Götz (Posaune) und Ines Ljubej (Percussion/Schlagzeug). Die Menschen nähern sich hier ausnahmsweise mal demütig der Natur, lauschen – und lernen. Vom Tier mit dem „Schieberüssel“, dem Elefanten, vom Bieber, der „mit seiner Stimme unsere Stimmung beeinflussen“ konnte. 

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Dieses Stück ist eine Ansprache und Kontaktaufnahme mit der Natur und all den gerne übersehenen Lebewesen, mit denen wir uns diesen Planeten teilen, den Ameisen, den Bienen, den Quallen. Zauberhaft erweckt Helene Schmitt die an Kreisen herabhängenden Stoffstreifen zum Leben, lässt sie wabern und tanzen wie Quallen im Wasser. Es ist ein Rundumtheater, die Spieler:innen bewegen sich im Raum, mal über das auf drei Seiten sitzende Publikum hinaus, mal um es herum. Denn: „Ich kann in eine Richtung gucken, nach vorne, aber ich kann in alle Richtungen hören. Rundherum. Knacken, Räuspern, Rufe – ein Vogelruf, Rascheln – ich bin nicht allein.“ Dalferth entwickelt ein Spiel mit dem Publikum, ein Rätsel aus Bild und Ton, ein leises Stück und zwischendurch auch ein lautes.

Unter- und Überwasserwelten 

Ein klein wenig betulich wird es hie und da, aber dann geht es so betörend weiter, dass man sich gerne wieder einfangen lässt von der Magie dieses ganz besonderen Abends. Wenn es nachts wird, ist es auch mal unheimlich im Dunkeln mit all diesen Geräuschen, dem Brummen und Brüllen. Mal ist es komisch, was diese Menschen in ihren durchgeknallten Forscherklamotten da abziehen; mal meditativ wie in der Unterwasserwelt mit all ihren Geräuschen, die es wie die Quallengesänge so eigentlich gar nicht gibt und die doch klingen, als habe man sie schon tausendmal unter Wasser gehört. Absurd die Abhandlungen über den Ohrwurm, lustig die Kommunikation mit dem Elefanten, ein bisschen spooky die Fledermäuse im Dunkeln. Politisch wird es, wenn François Mitterand sich für seine letzte Mahlzeit auf Erden ausgerechnet die geschützten Singvögel Ortolane zubereiten lässt.

Immer wieder bricht der Mensch in all seinen Un-Formen in die Welt der Tiere ein, stört den natürlichen Gang der Dinge, bringt die Natur durcheinander mit seinem Anspruch auf die Weltherrschaft oder auch nur seinen Egoismus. So ist das hier Gezeigte eben eine Seltenheit: Menschen, die hinhören, verstehen wollen, was um sie herum noch so lebt und leben will. „Tag für Tag verliert das klangvolle Orchester der Wildtiere weiter an Stimmen. Von vielen Tieren wissen wir schon gar nicht mehr, wie sie geklungen haben“, heißt es am Ende. „Die Stimme der natürlichen Welt ist die älteste und schönste auf diesem Planeten. Und wahrscheinlich ist jedes Musikstück und jedes Wort irgendwann aus dieser Stimme hervorgegangen.“ Beinahe unbemerkt mischen sich auch menschliche Laute – oder Kompositionen – unter die der Natur. Von Benjamin Britten, Jean-Philippe Rameau und Toshio Hosekawa. Nicholas Morrish verwebt sie mit den Klängen der Tiere. Tatsächlich werden sie eins.