Spannungsreiches Spiel
Gleich zu Beginn hasten die Schauspielerinnen und Schauspieler im stummen Spiel über die Bühne, um die Hektik bei der Ankunft des Schiffes in New York anzudeuten. So baut Müller-Elmau immer wieder starke Bilder auf, in denen sich das Ensemble in die Kabel verwickelnd und stolpernd bewegt, sich neu sortiert, auf der Leiter lungert, auf den Hochstuhl kraxelt, sich auf den Kabelhaufen schmeißt: Das Ensemble ist immer in Bewegung. Erst recht bei den vielen Prügelszenen, in denen Karl Roßmann nach und nach um seine persönlichen Sachen kommt, erst den Koffer auf dem Schiff, den er nach dem Rauswurf durch den Onkel wiederbekommt – und wieder verlustig geht. Nach den Schuhen verliert er sein Jackett mit seinen Papieren, wobei mit der Zeit die Prügeleien einen immer stärkeren homoerotischen Charakter annehmen, ohne dass diese Berührungen etwas mit dem jungen Mann machen.
Zu dieser Bewegung entwickelt Müller-Elmau ein starkes Repertoire an Handgesten, die ihren Höhepunkt finden, wenn das Ensemble gemeinsam die Hand aufs Herz legt und so gemeinsam zur spannungsgeladenen Ruhe kommt. Denn Hektik entsteht auch durch einen weiteren Kunstgriff der Regie: Bis auf Daniel Großkämper, der den Karl Roßmann verkörpert, spielen alle anderen Darstellerinnen und Darsteller mehrere Rollen. Der Sprung von einer Rolle in die andere findet manchmal auf der Bühne statt. Da es dabei keine großen Kostümwechsel gibt, brauchen die Zuschauer:innen einen kleinen Augenblick, um den Wechsel zu registrieren, obschon im körperlichen Ausdruck und/oder in der sprachlichen Gestik bei den einzelnen Figuren nuanciert wird. Müller-Elmau zwingt das Publikum zum genauen Hinsehen.
Im braunen Anzug, hellem Hemd und hellbraunen, fast gelben Schuhen (Kostüme: Katrin Busching) führt Daniel Großkämper einen in die fremde Welt geworfenen Menschen vor, nicht staunend, auch nicht in absolut stoischer Ruhe, sondern die Sache nehmend, wie sie gerade kommt. Das macht er mit starker Präsenz, wobei winzig kleine Gesten andeuten, dass da doch ein kleiner Vulkan in ihm brodelt, den er aber nicht zum Ausbruch kommen lassen kann. Sabine Bräuning spielt unter anderem die Großköchin – eigentlich die einzige Figur, die sich Gefühle leistet. Fast mütterlich sorgt sie sich um Karl, assistiert von Kristin Göpfert beispielsweise als Therese, die nach dem Freitod ihrer Mutter eine Heimat sucht. Antonio Lallo spielt neben dem prinzipientreuen Onkel und den aasigen Oberkellner, der Karl aus dem Hoteldienst entlässt, den Franzosen Demarche als brutalen Mann von der Straße, der weiß, wie es dort zugeht. Markus Michalik steht ihm als der Ire Robinson nicht nach, ein bisschen spielen sowohl Lallo als auch Michalik den Tramp von Charlie Chaplin (manchmal auch Dick und Doof) – nur in ihrem Ausdruck viel brutaler, weil ohne Hoffnung. Felix Jeiter spielt die moderierenden Rollen wie den Kapitän oder den Bankier Pollunder, der junge Reyniel Ostermann die kleinen Rollen wie Liftjunge oder die Fanny, die als Engel mit der Trompete die Bewerber des Theater Oklahoma empfängt.
Eine gelungene Inszenierung, die zwar nicht das grundlegende Problem der mangelnden dramatischen Spannung umschiffen kann, aber mit einem gestischen Repertoire beeindruckt und zum Hinsehen zwingt.