Ein Buch und eine Ausstellung zu Erwin Piscator
Foto: Cover „Erwin Piscators Die Räuber“ / Impression Ausstellung „E. Piscator: Politisches Theater im Exil“ bei Kulturvolk/Freie Volksbühne Berlin © Universitätsverlag Winter/Antonia Ruhl Text:Andreas Falentin, Antonia Ruhl, am 8. Dezember 2022
Erwin Piscator (1893-1966) war möglicherweise einer der besten Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts, dabei einer der einflussreichsten. In der Weimarer Republik verstörte er mit seinem politisch ausgerichteten Theater und etablierte viele Mittel, die wir heute mit dem epischen Theater in Verbindung bringen. Nach langem Exil kam er Anfang der 1950er-Jahre nach Deutschland zurück. Von 1962 bis zu seinem Tod leitete er die Freie Volksbühne Berlin und etablierte dort das noch heute gültige Genre des Dokumentartheaters, vor allem mit den Uraufführungen von Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“ und Peter Weiss‘ „Die Ermittlung“. Eine Ausstellung und eine Buchveröffentlichung erinnern jetzt an den Ausnahmekünstler.
Ausstellung: „E.Piscator: Politisches Theater im Exil“
Text: Antonia Ruhl
Als Theaterpraktiker wird Erwin Piscator mit multimedialen, spektakulären Inszenierungen im Berlin der 1920er-Jahre verbunden – etwa am von ihm geleiteten Theater am Nollendorfplatz, wo er „Hoppla, wir leben!“ von Ernst Toller oder „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ nach Jaroslav Hasek realisierte. Diesen Leistungen widmet sich die kürzlich eröffnete Ausstellung von Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin e.V. – dem Nachfolge-Verein des 1890 gegründeten Theaters, das der Arbeiterklasse kulturelle Teilhabe ermöglichen sollte.
Laut Ausstellungstitel soll es vorrangig um Piscators „Politisches Theater im Exil“ gehen; stattdessen versuchen vier kompakte Abschnitte, die sich vom ebenerdigen Foyer über die Treppe bis in den ersten Stock winden, Piscators künstlerische Biografie insgesamt abzudecken, die sich ab 1931 in Moskau, Paris und den USA, ab 1951 wieder in Deutschland abspielte. Auf rot-grau gehaltenen, gerahmten Schauflächen werden Fotografien, Briefwechsel, Plakate und andere Dokumente collagiert, die Piscators Persönlichkeit auf die Schliche kommen sollen und einen aufschlussreichen Eindruck weniger seines Werks denn seines illustren Umfelds vermitteln, das er sich trotz aller Brüche aufrechtzuerhalten beziehungsweise immer wieder aufzubauen vermochte. So bildete er etwa an der New School for Social Research mit dem von ihm begründeten Dramatic Workshop und Studio Theater Berühmtheiten wie Judith Malina, Marlon Brando oder Walther Matthau aus. Auch Piscators Intendanz an der Freien Volksbühne und die Anfänge des Dokumentartheaters finden Platz in der leseintensiven Ausstellung. So wird nicht nur ein erstaunlich ereignisvolles Menschenleben, sondern auch die Geschichte eines sich treu gebliebenen Künstlers erfahrbar, der sich nicht scheute, sich politisch immer wieder unliebsam zu machen – im nationalsozialistischen Deutschland wie später in der McCarthy-Ära in den USA.
Die von Michael Lahr von Lëitis kuratierte Ausstellung „E.Piscator: Politisches Theater im Exil“ ist bis 23. Februar 2023 im Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin e.V. zu erleben. Der Eintritt ist frei. Am 19. Dezember gibt es eine Lesung von Gregorij H. von Lëitis mit Briefen von Erwin Piscator.
Buch: „Erwin Piscators Die Räuber“
Text: Andreas Falentin
Erwin Piscators Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ entstand 1926 für die Berliner Staatstheater. Das Ergebnis waren ein handfester Theaterskandal und ein wesentlich größerer Bekanntheitsgrad des Regisseurs, der anschließend das eine oder andere Theater übernahm und schlagend bewies, dass ein herausragender Künstler nicht automatisch ein guter Geschäftsmann ist. Der von Nina Birkner herausgegebene Band enthält eine Reproduktion (kein Faksimile) von Piscators Regiebuch und stellt dieses klug in Zusammenhänge, durch kommentierende Einordnung, das Zur-Verfügung-Stellen zusätzlichen dokumentarischen Materials und vor allem einen umfassenden Kritikenspiegel zur Premiere.
Dessen Lektüre ist aus heutiger Sicht – durchaus lustig. Einerseits wird der Regisseur durchgängig gezaust, weil er dem Stück nicht gerecht werde, ja, wie einige behaupten, es gar nicht spielen würde. „Man hat hier im Grunde nicht die Inszenierung eines Klassikers (…) vor sich, sondern die Aufführung eines neuen Revolutionsschauspiels – nach den „Räubern“, weil moderne Revolutionsstücke fehlen“, schrieb beispielsweise Herbert Ihering, einer der Kritikerpäpste jeder Epoche. Er mokierte sich zudem darüber, dass der erste („Aber ist euch wohl, Vater?“) und der letzte Satz („Dem Manne kann geholfen werden“) gestrichen wurden, überigens aus ganz unterschiedlichen Gründen. Viele Rezensenten verstört das sachliche Sprechen, die Abwesenheit alles „Heroischen“, mit dem gerade dieses Stück seit der Revolution von 1848 auf deutschen Bühnen extrem verbunden war. Auf der anderen Seite sind sich alle, von Julius Bab bis Alfred Kerr (und sogar der wunderbar zu lesende Karl Kraus!) einig, dass Piscators dynamisch, gestalterisch überbordende Inszenierung der Massen-(Räuber-)Szenen etwas grundsätzlich Neues für das Theater war, was nicht folgenlos bleiben konnte.
Man kommt sich vor, die expressionistisch geprägte Kritiker-Sprachverwendung mal beiseite gelassen – wie in einer Debatte über den endgültigen Ein- oder Ausbruch des Regietheaters in den 90er-Jahren. Hier wie dort geht es auch um politische Haltungen: Das Theater steht immer weiter links als die Kritik. So wird besonders wütend zur Kenntnis genommen, dass hier ausgerechnet der Materialist – und nicht eben feine Mensch – Spiegelberg zum Stückprotagonisten wird und das auch noch in einer Maske, die an Leo Trotzki erinnert. Dennoch wird dessen Darsteller Paul Bildt (neben Veit Harlan, dem späteren „Jud Süss“-Regisseur als Roller) als einziger in allen Rezensionen gelobt.
Gerade in diesem Zusammenhang ist es hochinteressant, durch das Regiebuch zu blättern. Piscator hat nämlich, entgegen des Eindrucks vieler Kritiker, so gut wie keinen Fremdtext hinzugefügt, lediglich geschickt – und tatsächlich nicht ohne Tendenz – gekürzt und dafür immer wieder kurze Brückensätze eingefügt. Nicht nur für Dramaturg:innen ist die Lektüre dieser theatergeschichtlichen Kostbarkeit zweifelsfrei hochinteressant.
„Erwin Piscators Die Räuber“, herausgegeben von Nina Birkner ist im Universitätsverlag Winter Heidelberg erschienen. Der 242 Seiten starke Band ist am 29. September 2022 erschienen und ist für 39 Euro im Buchhandel erhältlich. HIER kann man das Buch erwerben und einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis werfen.