Foto: Zweimal Nino Machaidze als Ninetta in „La Gazza ladra“ © Monika Rittershaus
Text:Regine Müller, am 17. November 2022
Von Rossinis „La gazza ladra“(„Die diebische Elster“) ist die Ouvertüre berühmt, der ganze lange Rest (3’40 inklusive 20-minütiger Pause) aber vergessen. Das sanierungsbedingt ins Museumsquartier umgetopfte Theater an der Wien (das sich jetzt Musiktheater an der Wien nennt) hat nun unter der neuen Leitung von Stefan Herheim die seltsam unproportionierte Opera semiseria in der Regie des angesagten Tobias Kratzer wieder ausgegraben. Mit durchwachsenem Erfolg. Denn an der Geschichte des von allen Seiten erotisch bedrängten Dienstmädchens Ninetta ist einiges überraschend aktuell und dramaturgisch scharf gezeichnet, viele Wendungen des mäandernden Librettos aber wirken absurd und ermüdend retardierend. Und vor allem liegt das wie angeklebt wirkende lieto fine unglaubwürdig quer zur vorherigen Dramatik. Musikalisch allerdings hat Rossini bei dieser Rarität einiges zu bieten, wenn auch wenig Ohrwurmtaugliches – sieht man einmal von der unsterblichen Ouvertüre ab.
Aber der Reihe nach und in gebotener Kürze: Das Dienstmädchen Ninetta wird zum Tode verurteilt, nur weil es angeblich der Familie, bei der sie arbeitet, einen silbernen Löffel gestohlen hat. Tatsächlich hat sie ein Stück Silberbesteck verkauft, das aber gab ihr der eigene Vater, der vom Militär desertierte und steckbrieflich gesucht wird. Versprochen ist Ninetta einem gewissen Giannetto, bei dessen Eltern sie arbeitet und dem sie auch zugetan ist. Dann gibt es aber noch den Strizzi-Bürgermeister, der Ninetta nachstellt und ihr in verschiedenen misslichen Situationen Hilfe gegen erotische Gefälligkeiten anbietet. Außerdem gibt es einen gewissen Pippo, ein guter Freund von Ninetta und weiteres wimmelndes Dorf-Personal. Und natürlich die eigentliche Titelrolle, jene Elster, die es auf glitzerndes Metall abgesehen hat und vom Schlüsselbund über den Rosenkranz bis hin zum besagten Silberlöffel allerhand in ihrem erst ganz am Schluss entdeckten Nest angehäuft hat.
Schurke am Hammerklavier
Tobias Kratzers Inszenierung beginnt bereits in der überlangen Ouvertüre mit einem Flug aus der Drohnenperspektive über eine bäuerliche Landschaft. Tatsächlich ist es die Perspektive der Elster, deren schwarzer Schnabel ins Bild ragt und immer wieder nach Beute schnappt. Rainer Sellmaier hat ein einstöckiges Einheitsbühnenbild aufgebaut, rechts eine kleinbürgerliche Küche, links eine Art Stall, oben undefinierbare Kammern und in der Mitte ein Rolltor wie in einer Einfahrt zu einer Autowerkstatt, die Kostüme (ebenfalls Sellmaier) verweisen auf eine schäbige Zeit, irgendwann zwischen den mittleren 1980er Jahren und heute.
In diesem Szenario bietet Kratzer bis zur Pause souveränes Regie-Handwerk, führt mit Tempo und Präzision die Figuren, zeichnet mit knappen Strichen überwiegend mediokre, moralisch fragwürdige, aber nicht durchweg unsympathische Figuren, die alle um ihre kleinen Vorteile bemüht sind. Toxische Männlichkeit wird beiläufig thematisiert und nur allein durch die allgegenwärtige Häufung zum allmählich ernsthaften Problem für Ninetta, um die sich, inzwischen in einem Käfig gefangen, die geballte Männermacht schart. Der eigentliche Spielemacher aber ist – neben der Elster – der Hammerklavierspieler (Robert Lillinger), der mit strähnigem Haar und im Nerd-Pullunder auf der Bühne sitzt, die bissige Elster aus dem Käfig lässt und damit die üble Täterinnen-Verwechslung erst auslöst.
Dramaturgische Längen, souveräne Regie
Nach der Pause zieht sich das Geschehen dann allzu lang hin, Ninetta wird verdächtigt, angeklagt, in langen Ensemble- und Chorszenen wird pro und kontra verhandelt, immer wieder geht der klebrige Bürgermeister das Dienstmädchen begehrlich an, fährt mehrfach mit seinem Retro-Benz vor, wird abgewiesen, darob wütend, bevor er erneut Anlauf nimmt. Auf die längliche Gerichtsszene folgt der Gang zum Schafott für Ninetta und ihren inzwischen entdeckten Vater, düstere Chöre stimmen dämonische Töne an, die Masse giert zwischen Sadismus und Entsetzen. Bis dann endlich eben jenes Nest des Vogels gefunden wird, in dem einiges gelagert wurde, dass niemand vermisste, aber eben auch jener silberne Löffel, der das Dienstmädchen beinahe den Kopf gekostet hätte. Und zeitgleich fährt ein Fahrradbote mit einem königlichen Begnadigungsschreiben für den desertierten Vater vor, womit beide wundersam und äußerst unglaubwürdig gerettet sind. Doch das heitere Ende schmeckt fad und auch Kratzer weiß neben besagtem Fahrradboten-Gag und einem finalen Elstern-Flug übers Museumsquartier hinein ins Kunsthistorische Museum auch nicht viel damit anzufangen. Dennoch fühlt man sich über weite Strecken gut unterhalten von seiner detailreichen, handwerklich souveränen Regie.
Antonino Fogliani am Pult des ORF Radio-Symphonieorchester Wien trotzt der fatal knalligen Akustik im Museumsquartier mit maximaler Kontrolle, der allerdings manchmal das Schlagwerk dynamisch etwas entgleitet. Gewohnt famos, klanglich superb, schlank und frisch klingt der von Erwin Ortner einstudierte Arnold Schoenberg Chor. Das unerhört geforderte Ensemble führt qualitativ der gelenkige, höhensichere Tenor von Maxim Mironov als Giannetto an, das Elternpaar, mit dem herrlich onkelnden Fabio Capitanucci und Marina de Liso (die sich stundenlang an ihren Besteckkoffer klammert) und auch der schmierige Bürgermeister Gottardo von Nahuel Di Pierro agieren und singen auf herausragendem Niveau. Ausgerechnet Nino Machaidzes Ninetta aber klingt zunächst scharf und unfokussiert, fängt sich später, bleibt aber vor allem in der Höhe klirrend und in den schnellen Koloraturen unelegant. Am Ende erleichterter und einhelliger Jubel für eine Rarität, der beherzte Striche helfen könnten, ins Repertoire zu finden.