Unter Anleitung der feinfühlig musizierenden Violinistin/Akkordeonspielerin Karin Christoph versucht sich das Ensemble an traditioneller Pub-Musik, wechselt aber schnell in ihr Schauspiel-Metier. Greig bietet den Darstellerinnen und Darstellern alle Facetten der Ballade, also die lyrische, diverse metrische und strophische Möglichkeiten nutzende Rede, und das Epische (eine Erzählerstimme führt immer mal wieder durch die Handlung) sowie das dramatische Element durch die Strukturierung um wenige Situationen hin zur Moral von der Geschicht‘ und den Einsatz von Dialogen.
Unter der Regie von Patricia Benecke sind alle Neben- eher als Witzfiguren gezeichnet. Sofie Alice Miller gestaltet ihre Prudencia Hart dagegen ernsthaft als Charakter. Gibt also glaubwürdig und integer das, was der Name verspricht: eine zugeknöpfte, einsame Literaturwissenschaftlerin, die über die „Topographie der Hölle“ in der schottischen Volkskultur promoviert hat und nun auf einer Konferenz in einem Kaff nahe der englischen Grenze unbeirrt ihre Thesen zur erzählerischen Kunst der Border Ballads vorstellt. Deren Schönheit behauptet sie als authentischen, beseelten Ausdruck menschlichen Denkens, Fühlens und Sehnens – im Gegensatz dazu stünde heutige Kommunikation mit stummelstotterigem Social-Media-Geschwätz. Die Ausführungen tut ihr machoaffiger Gegenspieler Colin als „naive Nostalgie“ und „romantischen Quatsch“ ab.
Schreckliche Heimkehr
Die Akademikerparodien machen Spaß, Harts strahlend kluger Beharrungswille bereitet Freude. Auch wenn die Inszenierung kein perfekt immersives Vergnügen ist, weil das Ensemble eben nicht wie die Balladenkünstler mit gleicher könnerischer Leidenschaft singen, musizieren, erzählen und spielerisch verzaubern kann. Die Darstellerinnen und Darsteller wuseln in der Premiere zwar gekonnt rollenwechselnd durchs Publikum, aber es wirkt noch gewollt, nicht selbstverständlich leicht. Ein Manko, das in den Folgeaufführungen sicherlich abgestellt wird.
Und die Geschichte? Eintrittskartenschnipselregen also Schneetreiben verhindern Prudencias und Colins Heimfahrt. Wintersonnenwende. Beide flüchten in eine bizarre Kneipe, wo betont nervtötend schlecht Songs dargeboten werden und nervtötend besoffene, übergriffige Party-People die in ihrem Prüderie-Verständnis gefangene Prudencia in die Flucht schlagen, wo sie dem einladend freundlichen Teufel begegnet. Mit ihm bewohnt sie fortan die Hölle als Zweier-WG. Wobei der Tonfall in Prosa wechselt und Darsteller Simon Elias mit der Frische seines Spiels aus dem BSC-Ensemble heraussticht. Zum charmant komödiantischen Höhepunkt des Abends wird die Szene, als Prudencia ihre strenge Hochsteckfrisur öffnet, sich in Luzifers Bibliothek verlustiert, dabei wie in der Balladen-Poesie vorformuliert allen Mut zusammensammelt, um die dort gefeierte wahre Liebe auch bei sich als Gefühl zuzulassen. Selbstfindung. Selbstermächtigung. Selbstentäußerung. Sie spricht von erotischer Spannung, massiert ihren pferdefüßigen Gastgeber – und verführt ihn.
Dann aber verlassen alle bisher Regie führenden guten Geister die Aufführung: Prudencias Rettung aus der Hölle kommt im Stile der Comedy-Ödnis daher, die wir in Bremen aus Stücken wie „Bürobiester“, „Nackte Tatsachen“, „Männer allein zu Haus“ vom Theaterschiff, aus dem Packhaus- sowie Boulevardtheater kennen. Ein solches Schauspielniveau ist inakzeptabel für ein Haus, das Theater als Kunstform versteht. Aber bis zu diesem traurigen Mitklatsch-, Mitgröhl-, Vulgär-Jux-Finale funktioniert die traumhafte Reise, selbst gesetzte Grenzen zu überwinden, Verklemmtheiten zu entfesseln und sich der Welt zu öffnen, durchaus als lebensbejahend ausgelassenes Fake-Kneipen-Vergnügen.