So bleibt von der Vorlage nur die Overtüre übrig, die dann ergänzt wird mit viel Musik aus anderen Werken von Mozart. Nachdem die Fantasie sich erstmal in die Höhen geschraubt hat, beginnt sich das Ensemble auf der Bühne bald zu streiten: Wie sieht denn die perfekte Kunst aus? Romelia Lichtenstein – langjährige Primadonna an der Oper Halle – wünscht sich in eine Zeit zurück, als die Stücke noch so aussahen, wie vor hunderten von Jahren, als das Publikum noch in Frack und Abendkleid kam.
Nur Streit im Ensemble
Schnell regt sich Widerstand: Lichtensteins Arieneinlage aus Mozarts opera seria „La clemenza di tito“ wird von einer Tänzerin bebildert. Margherita Sabbadini verliert jedoch die Lust und zeigt das offen in ihrem Tanz. Vanessa Waldhart – die andere Primadonna – hat eigene Vorstellungen und auch das Orchester beginnt zu rebellieren. Die Konzertmeisterin spielt ein Violinstück von Anton Webern und obwohl es am Anfang das Klischee der Katzenmusik erfüllt, bekommt es doch großen Applaus – vielleicht ist das Publikum doch für mehr Moderne offen.
Als alle Menschen fortgeeilt sind, bleiben nur die Puppen zurück. Es sind Wiedergänger aus dem Fundus: Clementine wird an den Körper ihrer Spielerin geschnallt und hat so menschliche Beine, Herr von Holz ist eine kleine, realitätsnahe Puppe, deren Glieder und der etwas einfältige Albert ist die klassische Klappmaulpuppe mit überdimensionierter Nase. Sie haben die Sorge, dass sie zu kurz kommen – wie so oft. Sie beschweren sich, dass sie immer die kleinste Bühne bespielen und nur mit Kindertheater und Weihnachtsunterhaltung assoziiert werden statt mit großer Kunst. Hier macht sich das hallische Puppentheater für die Zunft stark, denn in der Saalestadt sind sie der Star und das große Opernhaus ist in dieser Produktion der kleine Partner. Dennoch planen die Puppen ein Komplott, um alle anderen zu beseitigen: „Menschen gehören ins Publikum, nicht auf die Bühne“, rufen sie. So tanzt Herr von Holz geführt von den drei Spieler:innen elegant mit Margherita Sabbadini, bis er sie mit der Pistole bedroht.
Der Abend gibt wunderbare Einblicke in die Theaterwelt: Der Schauspieldirektor tritt auf und lästert in einem pointierten Monolog über die einzelnen Berufsgruppen am Theater: Schauspiel und Gesangsensemble verstehen sich nicht, das ganze Orchester ist untereinander zerstritten, außer es wird mal kritisiert, der Chor lästert über die Solist:innen – weil sie neidisch auf die Karrieren sind, und die Solist:innen beneiden den Chor um die größere Sicherheit und das größere Einkommen. Wer sich im Theater auskennt ,wird sich denken „Stimmt, genau so ist es!“ und lachen. Wer es nicht so genau kennt, wird lachen und sich fragen „Ist das wirklich so?“. Und vielleicht erkennen manche darin auch ihr eigenes Arbeitsumfeld wieder – denn Intrigen gibt es ja überall.
Ehrlich und wahrhaftig
Dabei wird auch das Theater selbst hinterfragt: Ist die gute Kunst zeitlos oder aktuell? Was will oder braucht das Publikum? Und wie frei ist die Kunst, wenn sie von der Regierung gefördert wird, deren politischen Agenden man nicht zu deutlich widersprechen sollte. In einem weiteren Monolog sinniert der Schauspieldirektor auch über die Wahrheit und darüber, das Kunst immer nur Schein sei. Das alles wirkt auch so charmant, weil der Abend selbst echt und authentisch ist. Autor Ralf Meyer hat mit den Künstler:innen gesprochen: Wenn Romelia Lichtenstein von ihrer Wunschoper mit Abendgarderobe schwärmt, steckt wohl ein Funken Wahrheit dahinter. Und als sie mit Jörg Lichtenstein, der hier als Gast den Schauspieldirektor gibt, über das Eheleben spricht, ist ihr echtes gemeinsames Leben gemeint – derartige Dopplungen zeichneten übrigens auch die Uraufführung von Mozarts Singspiel aus.
Diese Wahrhaftigkeit spiegelt sich auch in der Musik: Denn die Stücke von Mozart wurden gemeinsam mit dem Ensemble ausgesucht – und das merkt man! Romelia Lichtenstein hat ihr Solo so verinnerlicht, dass sie es perfekt interpretiert, obwohl sie gestisch mit der Tänzerin streitet. Gemeinsam mit Vanessa Waldhart singt sie die Arie der Königin der Nacht, in der sie die Spitzentöne übernimmt – glockenklar! Und die Staatskapelle unter dem spielfreudigen Michael Wendeberg musiziert mit einer überzeugenden Leichtigkeit und Durchsichtigkeit. Zwischendurch spielen sie sogar zwei Morzart-Nummer gleichzeitig – ganz wild!
„Der neue Schauspieldirektor“ ist ein Abend voller Humor, der fein und immer auf den Punkt ist, in dem viel Selbstironie steckt und vor allem von einer innigen Beziehung zur (Theater-)Kunst erzählt. Selbst das Orchester schauspielert mit. Am Ende offenbart der Schauspieldirektor, wofür er die Fördergelder bekommt – und das Ensemble reagiert mit so großer Enttäuschung, dass man einfach lachen muss. Doch zieht das Ensemble trotz aller Differenzen an einem Strang – das macht Kunst aus. Also: Wer das Theater liebt, sollte dieses Stück sehen.