DIE DEUTSCHE BÜHNE: Herr Wegner, Sie sind Sounddesigner bei der Ruhrtriennale, ein im Spätsommer stattfindendes Festival. Langweilen Sie sich die restlichen 10 Monate des Jahres?
Thomas Wegner: Nein, ich habe einen freien künstlerischen Vertrag bei der Ruhrtriennale, aber das ist mindestens der Arbeitsumfang einer halben Stelle: Stückkonzeptionen, Korrespondenz, Personalplanung, das ist alles sehr zeitintensiv.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Wie ist der Werdegang zum Sounddesign, studiert man Tontechnik oder Musik oder beides?
Thomas Wegner: Ich habe nicht studiert, bin Autodidakt und habe längere Zeit Gitarre in einer Band gespielt, Unterricht gegeben: Rock, Pop, Jazz, aber auch zu Bach Verbindungen geschlagen, mich haben verschiedene Stile interessiert. Mit Anfang 20 habe ich ein Tonstudio aufgebaut, um selbst Aufnahmen zu machen für mich und andere Bands. So begann mein Interesse an der ganzen Studiotechnik. Nebenbei arbeitete ich am Theater, bis mich eine Regisseurin fragte, ob ich nicht die Musik zu ihrem Stück schreiben würde. Ich komponierte und produzierte also etwas … Letztlich bin ich heute Tontechniker, verstehe die Geschichte, habe einen musikalischen Hintergrund und kann beides zusammenführen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Entscheidend für Ihre Arbeit ist der Ort der Platzierung von Musik oder Geräuschen auf der Bühne, korrekt? Aber wo hört Sounddesign auf, und wo fängt Klangregie an?
Thomas Wegner: Die Ursprungsfrage betrifft die Verortung: Musik kann viel mehr, wenn ich sie in die Szene integriere und nicht als Playback beschalle. Wird Musik auf der Bühne gespielt, hören die Schauspieler:innen sie, oder ist sie ein filmisches Element im Hintergrund? Welche Auswirkungen hat es auf der Bühne, wo ich einen Lautsprecher postiere, für die Zuhörer und die Darsteller:innen? Nehmen wir das Radio in der Szene eines Fassbinder-Films als Beispiel: ein störendes, viel zu lautes Element. Die Darsteller schalten es an, führen aber trotzdem ihre Gespräche und irritieren damit total. Das ist etwas völlig anderes als Filmmusik! Und so funktioniert es am Theater auch. Einerseits das Werk und dann die Vermittlung des Werkes in den Raum – das wäre Klangregie oder Klangprojektion, wie Stockhausen es genannt hat.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Kommt der Begriff Klangregie also eher aus dem Musiktheater …?
Thomas Wegner: Im Grunde ja, der Klangregisseur stammt aus der zeitgenössischen Musik, hat bei Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen angefangen. Stockhausen war interessiert an Mikrofonen und Lautsprechern, das war der Ursprung der Klangregie. Man könnte eine Analogie zum Lichtdesigner herstellen, der allerdings eine viel längere Historie am Theater hat: Seit etwa 400 Jahren machen wir Licht, Ton erst seit circa 70 Jahren. Der Lichtdesigner konzipiert das Licht, braucht aber jemanden, der es auf technischer Ebene für ihn umsetzt, seinen Operator. Um eine Trennung der Begriffe zu geben, könnte man sagen: Der Sounddesigner macht die konzeptionelle Lautsprecherkonfiguration und gibt sie an den Klangregisseur ab, der dann versucht, das Design in Klang zu überführen. So habe ich oft gearbeitet: Klangdesign entworfen, Klangregie abgegeben.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Wenn die Relevanz von Ton und Klang in den letzten Jahrzehnten so zugenommen hat, wird dann auch der Sounddesigner mehr einbezogen in den künstlerischen Produktionsprozess?
Thomas Wegner: Das ist eine sehr gute Frage, sind wir da schon, oder wünsche ich mir das nur? An den Stadt- und Staatstheatern ist es ein langsamer Prozess; je größer der Betrieb, desto länger braucht es, Dinge neu zu etablieren. Im klassischen Musiktheaterraum entsteht oft der Konflikt, Ton so zu integrieren, dass es auch funktioniert. Das hat viel mit Optik zu tun. Wir müssten Lautsprecher positionieren, wo sie kein Regisseur sehen will. Da hat man schlechte Karten, zu argumentieren – anders als die größeren, etablierten Lichtabteilungen …
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Bleiben wir kurz im Musiktheater: Ist es da überhaupt üblich, dass ein Sounddesigner eingreift, etwa um Dominanz von Instrumenten zu verändern oder den Raumklang?
Thomas Wegner: In einer Philharmonie ist es zu 99 Prozent nicht notwendig und kein Thema. Allerdings entsteht auch bei Dirigent:innen langsam das Verständnis dafür, was man alles machen kann. Letztlich ist es ja eine Form der Interpretation, wenn etwa die Harfen untergehen und man das durch den Einsatz von Stützmikrofonen verändern kann. Wir haben 2017 hier bei der Ruhrtriennale „Pelléas et Mélisande“ gemacht, auch das war verstärkt. Das Orchester war 60 bis 70 Meter von den Zuschauern entfernt – viel zu große Distanzen, um die Feinheiten der Musik noch wahrzunehmen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Mikrofonierung – sei es bei Darsteller:innen oder Instrumenten – muss also nicht zwingend mehr Lautstärke bedeuten?
Thomas Wegner: Überhaupt nicht! Für mich ist es wichtig zu unterscheiden, dass Verstärkung nicht zwangsläufig höhere Lautstärken bedeutet. Es darf auch zu diesem Zweck eingesetzt werden, aber für mich geht es eher darum, die Dinge näherzuholen, Intimität oder Transparenz zu schaffen. Das Bild ist eine Entfernung, die ich durch Klang überbrücken kann. In Gesprächen mit Dirigent:innen geht es meist um Balance. Etwas lauter zu machen, etwa einzelne Instrumente, sollte am Mischpult das letzte Mittel sein; die Balance entsteht im Ensemble oder Orchester. Zeitgenössisches Sounddesign will kein Lautstärkespektakel! Im Schauspiel setzen immer mehr Regisseur:innen Mikroports ein, um die Sprechhaltung auf der Bühne zu verändern. Wenn ich mikrofoniert bin, eine viel intimere Haltung einnehmen kann und trotzdem zu verstehen bin, eröffnet das eine große Bandbreite von Haltungen, die ich auf der Bühne darstellen kann.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Empfinden das die Schauspieler:innen auch so?
Thomas Wegner: Ich habe den Eindruck, je öfter sie eingesetzt wird, desto mehr entdecken Schauspieler:innen die Vorteile, die ihnen Mikrofonierung bietet.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Wie läuft die tontechnische Betreuung während der Vorstellung ab?
Thomas Wegner: Hier bei „Unter lauter Schatten“ sind wir vier Tontechniker; ich sitze am Pult, mein Kollege macht die Verortung: Das Problem beim Ton entsteht, wenn etwas zeitlich und räumlich nicht übereinstimmt. Zum Beispiel jemand singt links und man hört ihn von rechts – das darf erst mal nicht so sein. Wenn sich jemand im Bühnenraum nach hinten bewegt, haben wir das Problem, dass Schallwellen sehr langsam, elektromagnetische Wellen im Vergleich aber sehr schnell sind. Wenn hinten jemand singt, käme er früher aus dem Lautsprecher als der Direktschall, also die Originalquelle. Dann machen wir die Positionierung auf der horizontalen Ebene und verzögern den Klang so, dass er im selben Moment aus dem Lautsprecher kommt, wie die Originalschallwelle braucht, um bei uns einzutreffen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Also im Grunde wie ein Beleuchtungsverfolger …?
Thomas Wegner: Absolut. Wie ein akustischer Verfolger. Das gibt es in der Tontechnik vielleicht erst seit zehn, fünfzehn Jahren, seit fünf ist es auch erschwinglich. Das kann man dem Begriff Immersive Audio zuordnen. Ja, alles ist inzwischen immersiv, aber hier passt es: Ich bin Teil der akustischen Welt um mich herum, und das ist schwer zu erzeugen mit einem einfachem Stereo-Lautsprecher-Set-up. Das ist sehr spannend …
DIE DEUTSCHE BÜHNE: …vermutlich auch sehr teuer?
Thomas Wegner: Es geht. Wenn ich bedenke, welche Budgets für Licht oder Ausstattung normal sind, ist es eine Frage der künstlerischen Entscheidung, einen Teil des Budgets dafür abzugeben.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Stichwort ökologische Nachhaltigkeit: Wie groß ist die Rolle des Energieverbrauchs im Bereich Sounddesign?
Thomas Wegner: Das ist zu vernachlässigen im Vergleich zu Licht-, Heizungs- und Kühlungssystemen. Es geht ja um nicht viel mehr als Mischpulte, Lautsprecher, Funkmikrofone. Wir bewegen wenig Luft.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Sie arbeiten schwerpunktmäßig im zeitgenössischen Musiktheater, wie beginnt so eine Produktion?
Thomas Wegner: Im Vorfeld lese ich die Partitur oder spreche mit Komponist:innen und Dirigent:innen, so entsteht eine Idee zur Konzeption und ein Gefühl dafür, was eine künstlerisch interessante Übertragung sein könnte: im Kontrast zwischen möglichst natürlich, also unhörbar verstärkt, zur Frage hin, will ich eine eigene Ebene aufmachen und die erzählen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Ist eine zweite interpretatorische Ebene nicht ein starker Eingriff in die Regie?
Thomas Wegner: Im besten Fall geht es zusammen mit Regie und musikalischer Leitung, aber die haben am Ende das letzte Wort. Darüber würde ich mich nie hinwegsetzen. Interessanterweise kommt fast immer als Reaktion der Wille, es auszuprobieren.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Welchen Teil Ihrer Arbeit als Sounddesigner mögen Sie am liebsten?
Thomas Wegner: Ich mag unheimlich gerne Proben, die Gespräche, den Prozess, etwas wachsen zu sehen, mit Komponisten, den Musikern, Dirigentinnen zu arbeiten. Ich mag es auch sehr, am Mischpult zu sitzen, das ist heute meine Form von Musikmachen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Hat man für all die Geräusche, die man als Sounddesigner braucht, eine digitale Bibliothek? Das quietschende Meerschweinchen, die knarzende Tür?
Thomas Wegner: Genau, das quietschende Meerschweinchen … Ich habe schon wirklich skurrile Sachen selbst gemacht. Letztes Jahr brauchte die Ruhrtriennale-Intendantin Barbara Frey für „Der Untergang des Hauses Usher“ echt klingende Raben. Sie hat dann mit dem iPhone im Wald zufällig einige Raben aufgenommen, die wir am Ende auch genommen haben.
DIE DEUTSCHE BÜHNE: Hört man überhaupt noch den Unterschied zwischen einem natürlichen und einem künstlich produzierten Klang?
Thomas Wegner: Das kommt ein bisschen darauf an, was man vorhat. Ich bin kein Foley Artist, das ist ein ganz eigenständiger Bereich. Aber immer, wenn ich etwas naturalistisch abbilden wollte, zum Beispiel Wind, dann war der natürliche Sound tatsächlich immer besser. Wind oder Meeresrauschen herzustellen ist gar nicht so einfach. Man kann das bauen, aber kleine Veränderungen hört man.