Foto: Schauspiel-Ensemble des Theaters Regensburg in "Zukunftsmusik" © Pawel Sosnowski
Text:Christian Muggenthaler, am 24. September 2022
Zwischendurch (es ist der zweite Teil eines dreiteiligen riesengroßen Brimboriums um reichlich wenig) fällt ein sogenanntes Batterie-Recycling-Material vom Schnürboden. Es ist – mit anderen Worten – Kunstkacke. Herrlich schmeißen inmitten einer zutiefst ungelungenen Uraufführung eine Weile lang die Schauspieler*innen damit herum und schreien „Scheiße!“. „Zukunftsmusik“ heißt das Eröffnungsstück der neuen Saison am Theater Regensburg unter neuer Intendanz: Eine Art Ortserkundung im Theater des für viele Beteiligten neuen Spielorts an der Donau hätte das Auftragswerk von Anne Jelena Schulte werden sollen. Was es wurde, war ein eher antiquiert wirkendes Textflächen-Experiment, das in seiner Überambitioniertheit auf der Bühne des Antoniushauses – immerhin sehr malerisch ausgestattet und elegant gespielt – absoff wie ein überladener Sprach-Tanker.
Aus drei Teilen besteht dieser ohne Unterlass vor sich hin mäandernden Textes, der so voll Bedeutungsgefuchtel steckt, dass er darüber großflächig vergisst, von tatsächlicher Bedeutung zu sein. Eine Erzählung gibt es nicht, stattdessen eine ziemlich undurchdringlich dichte Sprachkomposition aus inneren Bezüglichkeiten, Basteleien, Frotzeleien, Witzeleien, durchsetzt mit Zitaten, die die Autorin im virtuellen und analogen Gespräch mit Bürger*innen aus der Stadt Regensburg gewonnen hat. So hätte – den Abend wird beherrscht vom Konjunktiv – das Bild einer Stadt entstehen sollen, das auf die Zukunft gerichtet ist. Theater auf der Basis von ad hoc gesammeltem Recherche-Material: Derlei hat so oder so ähnlich schon dermaßen oft als bühnenliterarischer Versuch stattgefunden, dass man sich in jedem Einzelfall Sinn und Zweck und Ziel des ganzes Prozesses erwarten dürfte, der jenseits des mal mehr, mal weniger lustvollen Sprachwusts irgendwo hinführt.
Generationenkonflikte und leere Bierflaschen
In Regensburg eher nicht. In Teil eins missverstehen alteingesessene honoratiorenartige Stadtbürger die Jugend – und also die Zukunft – als bloßes Opfer für sie selbst. In Teil zwei geht es um die Verblendung durch die digitalen Medien und in Teil drei um eine neue Generation, die für ihr Recht auf Zukunft kämpft. Hier gibt’s mal reichlich Szenenapplaus, wenn Guido Wachter als „Der Erwachsene“ eine atemlose Suada hält über alles, was stockkonservative Menschen als verlorene Lebensinhalte davonschwimmen sehen: Nichts ist lustiger als die Zukunftsvision von Menschen, die darin besteht, alles möge bitte wieder so werden wie früher. Das vorherige Mal Szenenapplaus gibt es übrigens, wenn Thomas Mehlhorn als „Komponist aus der Zukunft“ eine Flasche Bier auf Ex trinkt. Schon klar: Bayern. Bier. Zwinker, zwinker!
Mehlhorn ist ein zeitreisender Tonsetzer, der ein Musikwerk aus der Corona-Zeit komponieren soll und schnell bemerkt, dass er mit Hilfe eines Bierhandschuhs in die Köpfe von Leuten schauen kann. Wieso, weshalb, warum, das bleibt – wie so vieles – ziemlich offen. Sein Sein dient halt dazu, eine Art von Rahmenhandlung zu haben. Die Folge von all dem ist nun, dass Mehlhorn die ganzen zweieinhalb Stunden lang ständig unmotiviert irgendwo herumstehen oder -sitzen muss in einer Inszenierung der neuen Schauspieldirektorin Antje Thoms, die aus der Not heraus ausgesprochen statisch ist. Der erste Teil wird versuchsweise etwas valentinesk angelegt, was aber nicht funktioniert, weil es dazu echten Sprachwitz bräuchte. Der zweite wird eine Art Dada-Groteske und an den dritten sind Regensburg- und Donau-Videos drangeklebt für den örtlichen Bezug. Hier agiert süßwütig eine Zukunftsbande aus jungen Menschen, und es wird getanzt.
Zwischendrin singt immer mal wieder ein Chor Text-Passagen (musikalische Leitung und Komposition: Arno Waschk). Ein Einfall, der auf die Dauer zu Lasten der Nerven geht und in sich dann schon wieder fast komisch das Befremdliche eines Abends unterstreicht, der experimentelles Tun mit unredigiertem, erratischem Verrätseln verwechselt, das wenig sendet und noch dazu wahnsinnig selbstverliebt daherkommt. Und in etwa so aufregend ist wie ein leergetrunkener Bierkasten. Immerhin ist die Ausstattung des Abends (von Florian Barth) sehenswert bildmächtig und Thoms’ Rollenarbeit vorzüglich: Dieses Schauspiel-Ensemble bei der Arbeit zu sehen, ist ein durchaus großes Versprechen auf die Zukunft der Saison.