Ende Juli dieses Jahres, mitten in der Sommerpause, ist auf der Probebühne im Bochumer Schauspielhaus nicht viel los – ein paar Schreibtische, dazwischen Kabel auf dem Boden, eine Espressomaschine summt. Alexandra Kaiser, hochgewachsen, kurze, helle Haare, trinkt ihren Kaffee schwarz. Seit 15 Jahren arbeitet sie hier, eigentlich ein Stockwerk höher, doch da wird gerade renoviert. Nur an den wenigsten Computern im Büroprovisorium sitzen an diesem Montag Menschen, eigentlich arbeiten sie hier in der Technik überall im Haus statt nur an einem Platz. Als Meisterin für Veranstaltungstechnik und Fachkraft für Arbeitssicherheit betrifft sie das besonders, ständig ist Alexandra Kaiser auf dem Sprung.
Jahrelang betreute die 44-Jährige die bühnentechnische Arbeit und bildete am Haus als Assistentin des Technischen Direktors Veranstaltungstechniker aus. Nach der Geburt ihres Sohnes wechselte sie das Fach und hat seit 2011 als Fachkraft für Arbeitssicherheit weniger abendliche Pflichttermine, was sie mit Kind viel entspannter findet. In ihrem Berufsalltag als Bühnentechnikerin war Arbeitssicherheit immer ein Thema, „und es hat mich immer schon interessiert“, sagt Kaiser. Rückblickend sei es deshalb ein Glück, dass sie ihre Meisterschule und Prüfung bei der Handwerkskammer machte und nicht, wie ursprünglich geplant, die klassische Bühnenmeisterprüfung beim Regierungspräsidenten ablegte. Diese umfasste einerseits nur wenig die Arbeitssicherheit, noch hätte sie danach ausbilden dürfen. Andererseits stieß Kaiser dort auf ein echtes Problem: Diskriminierung. Zuvor habe sie sich als Frau nie falsch gefühlt, sagt sie, im Drehstuhl zurückgelehnt – „außer im Kontext dieser Bühnenmeisterprüfung. Das war echt grenzwertig“.
Damals, bis Mitte der 1990er-Jahre, konnte man die Bühnenmeisterprüfung an fünf Orten in Deutschland absolvieren: Darmstadt, München, Berlin, Hamburg und Düsseldorf – Kaiser bewarb sich in Darmstadt. „Die Prüfungsstelle schrieb immer an ‚Herrn Alexander Kaiser‘, damit fing es schon an“, erzählt sie. „Dabei hatten die doch mein Foto, auf dem ich lange Haare hatte und wie ein richtiges Mädchen aussah.“ Ihr Werdegang und Lebenslauf aber genügten den Ansprüchen, sie wurde eingeladen, fing an zu lernen. „Die Prüfung ist sehr, sehr hart, es wird sehr viel verlangt“, sagt sie. „Die Durchfallquote war immer hoch, was ja auch in Ordnung ist. Aber man lernt dafür mindestens ein halbes Jahr.“ Zwei Wochen vor dem angesetzten Termin erreichte sie erneut ein Brief. Eine Absage – adressiert, erstmals, an Frau Alexandra Kaiser. „Da stand dann drin, ich sei wohl zu jung und hätte zu wenig Erfahrung.“ Heute lächelt sie bitter, wenn sie davon erzählt. „Ich bin trotzdem hingefahren, zusammen mit einem Freund, der die Prüfung machen durfte.“ In dem Raum, den sie betraten, warteten „circa 80 Männer“, und im Ausschuss saßen ebenfalls: nur Männer. „Mein Freund hat sie auf meinen Fall angesprochen und nachgefragt. Es hieß, wäre ich ein Mann gewesen, hätte es einen Platz für mich gegeben.“ Nur sehr wenige Frauen machten diese Prüfung, sagt Kaiser, „und irgendwie hängt da bei allen ein komisches Schicksal dran“. Bei der Handwerkskammer jedenfalls gab es für sie keinerlei Probleme – und die umfangreichere Ausbildung.
Laut der Statistik des Deutschen Industrie- und Handelskammertags befanden sich im Jahr 2018 3167 Menschen in der Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik, darunter 280 Frauen – mehr als damals zwar, doch noch immer keine zehn Prozent. Eigentlich, sagt Kaiser, müssten es heute, da viel mehr Frauen arbeiten als noch vor 20 Jahren, rein logisch gedacht auch immer mehr Fachkräfte geben. „Aber der Mangel ist extrem, auch hier“ – Stellen in der Veranstaltungstechnik blieben auch in Bochum monatelang ohne Bewerbung, und Frauen sind noch immer stark in der Unterzahl. Was glaubt sie, woran das liegt? „Frauen, die sich dafür entscheiden, in der Veranstaltungstechnik zu arbeiten, sind zunächst einmal ein anderer Typ als Bankkauffrauen“, sagt sie. Es fehlten aber vor allem role models, also Frauen, die in einem entsprechenden Beruf arbeiten und damit für junge Mädchen eine Orientierung sein können. „Ich glaube nicht, dass es von Natur aus so etwas wie typische Männer- und typische Frauenberufe gibt“, sagt Kaiser und findet sogleich ein Beispiel: Ihr Sohn habe einen Erzieher und einen Friseur, und auch ihre Frau arbeite in einem oft noch immer als Männerberuf wahrgenommenen Job – sie ist Polizeibeamtin. „Entgegen allen Vorurteilen, die uns manchmal begegnen“, fügt Kaiser hinzu: „Zwei Frauen können natürlich einen vollwertigen Mann großziehen.“ Bei ihr war es ebenfalls das Umfeld in der Kindheit, waren es Sozialisation und Förderung, die ihren Berufswunsch bedingten: Mit einem Techniker als Vater, der die kleine Tochter oft zu seiner Arbeit an der Rennstrecke mitnahm, entwickelte Alexandra Kaiser schon früh eine Begeisterung für Autos – „Ich kenne da jede Schraube“ – und später für technische Mathematik. Als sie dann als Jugendliche mit der Schule im Theater war, sei ihr plötzlich alles klar gewesen: „Ab da wusste ich, dass ich am Theater arbeiten will. Egal wie, aber am Theater.“ Besonders Musiktheater interessierte sie da, die großen Bühnenbilder und aufwendigen Montagen, Herausforderungen wie Drehbühnen und anspruchsvolle Aufbauten. „Ich bin eine Macherin“, sagt sie. „Wo andere minutenlang herumüberlegen, ob etwas so geht oder nicht, habe ich es längst ausprobiert und meistens hinbekommen.“
Tatsächlich blieb ihre Diskriminierungserfahrung bei der Prüfungsanmeldung die einzige dieser Art – „mit Arbeitskollegen hatte ich nie Probleme, weil ich eine Frau bin. Bühnentechniker sind tolle Menschen“. Dafür erfuhr sie immer wieder, was es bedeutet, in einem Arbeitsgebiet „die erste Frau“ zu sein. Nicht nur Zeitungen berichteten über sie, wenn sie eingestellt wurde, 1994 am Staatstheater Darmstadt oder 1996 an der Deutschen Oper am Rhein. Vor allem stieß sie auf ein über Jahrzehnte von Männern geprägtes Arbeitsumfeld, in dem sie oft diejenige war, die nicht einfach nickte – sondern nachfragte und gewohnte Abläufe aufbrach.
„Ich glaube, Männer und Frauen sprechen unterschiedliche Sprachen“, sagt Kaiser, „zumindest in entsprechenden Kontexten.“ In einem rein männlichen Umfeld, und zwar in einem über Jahre und Jahrzehnte hinweg rein männlichen Umfeld, spielten sich Abläufe ein, vor allem kommunikativer Art. „Viele Männer, mit denen ich gearbeitet habe, diskutieren Probleme nicht lange aus“, sagt Kaiser. „Sie haken sie ab. Sie stimmen zu, weil dann ihr nächster Vorschlag auch abgenickt wird. Viele Frauen geben sich damit aber nicht zufrieden – ich mich auch nicht.“ So ein Umfeld wie das der Veranstaltungstechnik sei so ein stereotyp männliches Umfeld, das heißt: Es herrschten dort Regeln und ein Umgang, der allgemein mit Männlichkeit assoziiert werde – „Wettbewerb, Konkurrenz, Rivalitäten – aber wenn es dann gegen etwas von außen geht, beispielsweise gegen eine Frau, ist man auf einer Seite“.
Alexandra Kaiser ist wichtig, dass nichts, was sie sagt, als Pauschalurteil verstanden wird: „All diese Grenzen sind nur in unseren Köpfen“, sagt sie. „Jeder kann irgendwas gut und irgendetwas nicht.“ Zudem gebe es durchaus Frauen, die Freude am Wettbewerb hätten, und genauso Männer, denen solches Denken ganz fremd sei. „Es ist die jahrzehntelange Prägung eines Umfelds“, sagt Kaiser, „die sich ändern muss und die sich auch ändern wird, wenn mehr Frauen hinzukommen.“ Doch dann stutzt sie kurz: „Trotzdem kenne ich nur sehr wenige technische Leiterinnen an einem Theater.“ Sie macht eine Pause. „Wir stehen wirklich noch ganz am Anfang.“