Foto: Richard Strauss’ letzte Oper „Capriccio” in der Regie von David Marton. © Wilfried Hösl
Text:Tobias Hell, am 18. Juli 2022
Prima le parole? Prima la musica? Es ist die alte, über Jahrhunderte in der Operngeschichte immer wieder diskutierte Frage, ob nun dem Wort oder der Melodie der Vorzug gelten soll. Ein Thema, das auch Richard Strauss sich zum Stoff seines letzten Bühnenwerks „Capriccio“ erkor. Ähnlich eskapistisch und selbstreferenziell, wie die vorausgegangenen griechischen Mythos-Vertonungen, mit denen er sich in Kriegstagen auf ideologisch neutrales Gebiet zurückzuziehen versuchte. Ein philosophischer Diskurs über das Theater und die Kunst. Und das in einer Zeit, als in ganz Europa Bomben regneten und die kulturelle Elite Deutschland zu einem Großteil aus Angst um Leib und Leben bereits den Rücken gekehrt hatte. Unter anderem auch der ursprünglich auserkorene Librettist Stefan Zweig.
Der Souffleur als Spitzel
Dass die Uraufführung 1942 unter der Schirmherrschaft von Joseph Goebbels stand, blitzt in der aktuellen Münchner Premiere – für die Regisseur David Marton seine bereits an der Oper von Lyon erprobte Produktion noch einmal neu aufbereitete – nur in wenigen handverlesenen Momenten durch. Nämlich dann, wenn der als stummer Beobachter durchwegs präsente Souffleur Monsieur Taupe sich als Notizen machender Spitzel entpuppt, der die hier schon mal Säuberung des deutschen Kunstbetriebs vorzubereiten scheint. Im Großen und Ganzen bleibt Martons Inszenierung aber getreu dem Geiste von Richard Strauss eine auf die zwischenmenschlichen Beziehungen fokussierte Hommage an das Theater selbst.
Diana Damrau in stratosphärischen Regionen
Schauplatz ist folglich kein verschnörkelter Gartensaal des Jahres 1775, in dem die Protagonisten mit gepuderten Perücken die gehobene Konversation pflegen, sondern ein im Querschnitt aufgerissenes Opernhaus. Von Christian Friedländer mit viel Liebe zum Detail entworfen und von seinem Kollegen Henning Streck suggestiv ausgeleuchtet. Hier darf die im Stil der Uraufführungszeit gekleidete Gräfin Madeleine zunächst verträumt aus ihrer Loge lauschen, ehe sie später selbst in den Orchestergraben steigt und in einem ebenso eindringlichen wie poetischen Bild als Dirigentin zumindest imaginär die Führung übernimmt. Und bei Diana Damrau scheint die Waage schon einmal definitiv in Richtung der Musik auszuschlagen. Ihr mittlerweile leicht eingedunkelter Sopran fühlt sich in den stratosphärischen Regionen, in die Strauss sie entführt, hörbar wohl. So wohl, dass die Textdeutlichkeit hin und wieder hinter dem gesanglichen Ausdruck zurückstehen muss.
Die Regie scheint dagegen keine eindeutige Partei ergreifen zu wollen. So freut man sich einerseits, wenn Passagen wie das einleitende Streichquartett, das bei geschlossenem Vorhang wunderbar subtil intoniert wird, oder die berühmte „Mondscheinmusik“ ohne großen szenischen Kommentar ganz für sich wirken dürfen. Doch gibt es immer wieder auch Momente, in denen der Regisseur Marton in den dramaturgischen Rhythmus der Partitur eingreift und von Strauss gesetzte Sollbruchstellen künstlich dehnt, oder gleich eigene (Zwangs-)Pausen setzt. So unter anderem mitten in der großen Ansprache des La Roche, die hier direkt ans Publikum im Prinzregententheater geht, nachdem die eigentlichen Adressaten zuvor die Bühne verlassen haben. In der Gestaltung durch Kristinn Sigmundsson, der dem vehement für seine Kunst eintretenden Theaterdirektor mit all seiner Bühnenerfahrung die nötige Autorität verleiht, verfehlt gerade dieser Moment nicht seine Wirkung.
Ordentlich zur Sache geht es ebenfalls beim Aufeinandertreffen von Dichter Olivier und Komponist Flamand. Wobei Bariton Vito Priante mit markanter Diktion den belcantesken Ausbrüchen von Pavol Breslik eindrucksvoll Paroli bietet. Da bleibt fürs Flirten mit der Gräfin bei beiden nur noch wenig Steigerungspotenzial. Doch dafür darf es dann zwischen der von Tanja Ariane Baumgartner mit sonorem Mezzo verkörperten Schauspiellegende Clairon und dem sie umschwärmenden Grafen so richtig knistern. Wobei Michael Nagy im Zusammenspiel mit seiner Partnerin hier auch sein komisches Talent unter Beweis stellen darf.
Leuchtraketen aus dem Graben
Lothar Koenigs steuert dazu ein farbenreiches Dirigat bei, das man sich an mancher Stelle aber durchaus noch ein wenig delikater vorstellen könnte. Einige subtil eingeflochtene Zitate schießen da wie Leuchtraketen aus dem Graben, während die großen Konversationsszenen zum Teil eher pauschal daherkommen. Umso zuverlässiger tritt die Strauss-DNA des Staatsorchesters dann allerdings im Finale zu Tage, wo die Primadonna in wohlig duftende Klangwolken gehüllt wird und ihre Stimme auf diesem Fundament ruhend souverän in den Saal schweben darf. Spätestens hier lautet das Urteil dann nur noch: Prima la Damrau!