Dem Zusammenkommen liegt kein schöner Anlass zu Grunde: Kurt, der Besitzer des Hotels, das seine Blütezeit in den 90er-Jahren hatte, ist gestorben. Stefan (Milan Gather), sein Sohn, lädt das Personal und Freunde (das Publikum) zu Feier und Leichenschmaus ein. Sogar ein kleines Programm ist vorbereitet mit Songs und Revuemomenten aus den neunziger Jahren. Im Zentrum aber stehen die Wünsche und Träume des Teams – und natürlich die Beziehungen untereinander und zum einstigen Chef. Im Mittelpunkt dabei steht Fiori, die als 15jährige nach Deutschland kam und mit Kurt eine Liebesbeziehung hatte. Ema Staicut führt ihre Figur sensibel nicht nur als trauernde, sondern auch als selbstbestimmte Frau vor, die den Heiratsantrag von Stefan ablehnt. Wie bei vielen Totenfeiern wechseln sich kleine Rituale – wie das Werfen von kleinen weißen Steinchen über die Schulter ab mit Anekdoten über den Verstorbenen, bis hin zu Ausbrüchen, wie den des großartigen Unai Lopez de Armentia, der die Urne mit der Asche des Kurt über sich ausschüttet und sich dann verzweifelt auf den Tisch wirft, als er wie alle erfährt, dass das Hotel schon längst einer Bank gehört.
Spiel mit historischem Abstand
Alle Figuren haben ihre Geschichten: Kais (Faris Yüzbaşioğlu) träumt von einem eigenen Restaurant, Sabine (Anna-Lena Hitzfeld) ist wütend auf die Ausbeutung ihrer Mutter durch Kurt, Elisabet Topp führt eine lebenserfahrene Kim vor. Sibel Polat schließlich träumt vom Leben in ihrem türkischen Dorf und formuliert als Arezu die Botschaft: „Bei uns schickt man niemanden weg, man rückt zusammen. Wo Platz für 40 ist, ist auch Platz für 60.“ Zunächst scheintes, als könnte „hotel europa“ schlicht als Metapher eines gegenwärtigen Zustands der EU gelesen werden. Jedoch erweist sich die Dramaturgie (Paulina Mandl und Christian Schönfelder) des Abends als raffinierter. Das Geschehen wird in den 90er-Jahren verortet, in der Zeit des Jugoslawien-Kriegs mit seinen Fluchtwellen, mit Rassismus und Lohndumping: alles Themen, die nach wie vor unsere Gesellschaft prägen, die sich aber durch den bewusst gesetzten historischen Abstand jenseits eines rigorosen Moralismus erzählen lassen. So wird vorgeführt, wie wichtig der Respekt vor dem Anderen ist. Und das mit einer atemberaubenden Leichtigkeit des Spielens.
Mit Lust in das Spiel einzusteigen ist das eine, was dieses Ensemble beherrscht, ein anderes ist – Musikalität. Jeder und jede spielt mehrere Instrumente. Der für die Einstudierung verantwortliche David Pagan singt und spielt auch selbst. Seine Arrangements sind wunderbar ironisch gebrochen, dabei ständig auf die jeweilige Stimmung, die gerade im Raum herrscht, bezogen oder bewusst einen Wechsel herbeiführend. Von Chorälen wie „Lacrimosa“, Tanznummern wie „Macarena“, bei denen das Publikum zu einer Polonaise aufgefordert wird, der Revuenummer „You have nothing“, die von Elisabet Topp mit viel Schmalz vorgetragen wird, bis hin zu „Lady in Red“ oder „Wind of Change“ wird die Aufführung zu einer Show, über deren Verbrüderungscharakter am Ende man sich streiten kann, die aber doch an eine wichtige Einsicht befördert: Ohne Liebe zum Menschen kann es keine Gesellschaft geben.